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Liebe Katarina Witt

Zuerst mal muß ich sagen, daß ich unheimlich erleichtert bin. In der Schule haben nämlich alle gemeint, Sie hätten gar keine Füße und müßten deshalb immer Eislaufen, sogar in Spanien, wo das ja ganz unmöglich ist (und es wahrscheinlich nicht mal ein Wort dafür gibt), aber gestern abend, bei der Premiere Ihres Films im Westberliner „Royal-Palast“, da habe ich gesehen, daß Sie Füße haben und ganz normal gehen können.

Wir haben nämlich über unseren Eislaufverein eine Karte für die Premiere ergattern können, und weil Sie schon viele Jahre mein Vorbild sind, habe ich die Karte gekriegt. Ich habe mich auch schick gemacht, weil ich gedacht habe, daß Sie vielleicht kommen werden. Und so war es dann ja auch.

Als Sie erschienen sind, hat es ja einen großen Auflauf in der Menge gegeben, und einer hat ganz laut „Kaaatiie!“ gebrüllt, mit einer Stimme, als hätte er schon fünf Bier intus, bis Sie endlich gekommen sind und ihm ein Bussi gegeben haben. Später habe ich dann erfahren, daß das ein ganz berühmter Filmproduzent ist, der den Namen der Rose gemacht hat, aber ein wirklich erfolgreicher Mensch hat doch so etwas gar nicht nötig!? Und dann der Film.

Ich muß zugeben, daß ich von Anfang an ziemlich skeptisch war. Ich kann ja verstehen, daß Sie auch mal etwas anderes tanzen möchten als diese Wettbewerbe in den nüchternen, großen Hallen. Aber es gibt doch sicher auch Geschichten in der Weltliteratur, die sich besser zum Eislaufen eignen als ausgerechnet Carmen, zum Beispiel Und ewig singen die Wälder, wo auch eine sehr schöne Frau drin vorkommt, die alle Männer verrückt macht.

Aber Carmen, das war wirklich eine Schnapsidee: Wie da vor der Tabakfabrik in Sevilla das ganze südliche Ambiente komisch gewirkt hat, weil alle Donas und Senores auf dem Eis herumgerutscht sind. Das paßt doch einfach nicht, das haben Sie sicher gestern abend auch selbst gesehen.

Aber gut, wenn man diese Kröte irgendwie geschluckt hat, muß man sagen, daß es doch ein Erlebnis war, weil Sie und Ihre beiden Partner, der Brian Boitano als Don Jose und der Brian Orser als Escamillo, ganz wunderschön getanzt haben, und das hat man ja auch an dem Applaus gestern abend gemerkt. (Wobei mir aufgefallen ist, daß alle geklatscht haben, nur die vorderen acht Reihen nicht. Ich weiß nicht, wen Sie da eingeladen haben, ich hoffe aber, daß das keine Journalisten waren.)

Ich finde auch, daß Sie die Geschichte so im großen und ganzen gut dargestellt haben, und die vielen Leute bei den Straßenszenen haben auch lebendig und spontan gewirkt. Nur einige Kleinigkeiten sind mir aufgefallen, und die wollte ich Ihnen doch noch schreiben, denn es ist sicher so, wie mein Trainer sagt (und Ihre Trainerin sicher auch), daß man immer noch besser werden kann.

So fand ich zum Beispiel, daß Ihr Lächeln ziemlich eintönig gewirkt hat. Die Carmen in der Geschichte, das ist ja eine ganz feurige, diabolische Figur mit einer betörenden, gleichsam abgründigen Mimik. Und Sie haben immer so gelächelt wie eine Stewardess, so herzlich und freundlich, und das paßte nicht ganz. Aber das können Sie ja beim nächsten Film besser machen.

Worüber Sie vielleicht mal mit Ihrem Produzenten reden sollten, das ist das Ausstattungsproblem. Irgendwie hatte ich den Eindruck, er und der Regisseur konnten sich nicht richtig entscheiden, wann diese Geschichte denn nun spielen soll. Am Anfang waren nämlich Autos zu sehen, und als man sich gerade daran gewöhnt hat, daß diese Geschichte nicht nur auf dem Eis, sondern auch in der Gegenwart spielt, da traten die Personen auf, und die waren wiederum in Kostüme gekleidet - wie Sie ja auch - die ganz historisch aussahen.

Aber auch das hat nicht wirklich gestimmt, denn ich weiß ganz genau, daß man in der Zeit, wo die Geschichte spielt, noch keinen Nagellack hatte und keine Armbanduhren und Dauerwellen und so etwas. Das klingt jetzt vielleicht kleinlich, aber ich finde, das muß man beachten, wenn man sich in anderen Dingen viel Mühe gegeben hat und auch ansonsten keine Kosten gescheut. So habe ich zum Beispiel gelesen, daß für die Außenaufnahmen die Altstadt von Sevilla gesperrt und ihre Straßen und Plätze mit künstlichem Eis überzogen worden sind. Und daß, je nach Szene und Beschaffenheit des Untergrundes, auch die Eisfläche verschieden eingefärbt wurde: „Reine Naturfarbe wird dazu auf Eis patiniert und dann in zwei Schritten mit einer vier bis fünf Millimeter dicken Eisschicht bedeckt. Die Einfärbung muß wegen des Abriebs pro Tag zwei- bis dreimal wiederholt werden.“

Das hat ja Ihre Filmgesellschaft, die Neue Constantin, selbst bekanntgegeben, und da bin ich einfach der Ansicht, wenn man so in die Vollen greift, ich meine auch kostenmäßig, und die Wiener Philharmoniker für die Musik engagiert (die ja wunderschön ist, sich aber ziemlich oft wiederholt hat), ich meine, dann sollten auch die Kleinigkeiten stimmen (zum Beispiel war gar kein Blut an dem Messer, mit dem Sie erstochen worden sind). Da sollten Sie in Zukunft ein Auge drauf haben.

Na ja, und vor allem: Einen besseren Texter hätten Sie schon bezahlen müssen, oder Sie hätten Ihren Texter besser bezahlen müssen. Denn diese Zwischentexte, die da eingeblendet wurden, um die Handlung zu erklären, die waren wirklich nicht gut. Diese Novelle von Prosper Merimee, ich weiß nicht, ob Sie die mal gelesen haben?, ist nämlich wunderschön. Da stehen zum Beispiel Sätze wie: „Was er tun sollte, war für mich so gut wie unmißverständlich, als ich sah, wie sie mit ihrer kleinen Hand unter ihrem Kinn blitzschnell hin und her fuhr. Ich war versucht anzunehmen, es handle sich darum, jemandem die Gurgel durchzuschneiden, und hatte einigen Grund zum Verdacht, daß diese Gurgel meine eigene sei.“

Und auf der Leinwand steht dann, im Film: „Don Jose spürt, daß er abgemeldet ist.“ Das ist doch wirklich ziemlich dürftig.

Aber vielleicht ist Ihrer Filmgesellschaft zum Schluß doch das Geld ausgegangen. Denn nach der Premiere, als der Produzent und Sie nach vorne kamen, da hat er doch ein bißchen aufdringlich vom Geld geredet und gesagt, daß er bei seiner Bank ziemlich tief in der Kreide steckt und daß er herzlich bittet, daß man allen Leuten erzählt, daß Carmen ein wirklich toller Film ist, damit die Kinos voll werden und er sein Geld wieder hereinbekommt. Ich will das ja gern in meinem Sportverein sagen, daß Sie wunderschön getanzt haben und all das, aber ich finde, die Schulden von diesem Produzenten gehen mich nichts an.

Ich hoffe nur, daß alle Darsteller und Mitwirkenden ihr Geld schon bekommen haben. Und Sie natürlich auch, denn Sie haben Ihr Geld ja redlich verdient.

Mit schönen Grüßen,

Ihre Elke S.,

Eisläuferin bei Borussia 1920

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