: Sonderbare Deutsche-Betr.: "Modrows Kapitulation", taz vom 2.2.90 und "Neutralität als Ausweg", taz vom 5.2.90
betr.: dito und „Neutralität als Ausweg?“, taz vom 5.2.90
Von Kohl bis Vogel und bis in die taz-Kommentare erstreckt sich die Ablehnung des durchaus ernstzunehmenden Vorschlags von Modrow zur militärischen Neutralität der (noch) beiden deutschen Staaten. Das Argument, ein neutrales Deutschland „wäre für Europa wohl eher ein Risikofaktor“, ist mehr als fadenscheinig und wird auch nicht durch die Behauptung substantiviert, „daß der Austritt aus der Nato und der Wunsch nach Neutralität gerade auf der äußersten Rechten zum Standardrepertoire außenpolitischer Vorstellungen“ gehöre.
Schon heute erstreckt sich von Schweden bis Jugoslawien ein Band der neutralen und blockfreien Staaten, unterbrochen nur von den sonderbaren Deutschen. Ist etwa die Schweiz, wo kürzlich eine Initiative zur Abschaffung der Armee einen Achtungserfolg errang, auch ein Sicherheitsrisiko? Adenauers Politik der Remilitarisierung und Westeinbindung der Bundesrepublik war und ist einer der Hauptgründe der deutschen Zweistaatlichkeit, was von dessen selbsterklärtem Enkel wohlweislich verschwiegen wird. Die Vorschläge von Dreggers Natoisierung Gesamt-Europas bis zu Genschers „Quadratur des Kreises“ sind so unsinnig wie sie natürlich Sicherheitsrisiken darstellen.
Wer heute ein militärisch neutrales Deutschland kategorisch ausschließt, knallt nicht nur die Tür zu einem, wie auch immer gearteten, friedlichen Ausgleich in Mitteleuropa zu. Er rechtfertigt vielmehr auch weiterhin den ungebremsten deutschen Waffenexport in alle Welt (vor dem Neutralität allein natürlich auch nicht schützt) und die Verschleuderung von Volksvermögen für atomare, chemische und technische Zeitbomben. Oder soll Fortschritt sein, wenn künftig auch über dem Grenzstreifen zur DDR zu groß gewordene Kinder mit ihrem Megaspielzeug tieffliegen dürfen?
Bernhard Dickore, Göttingen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen