: Caesar: Nötigungsvorwurf „haut in die Fresse“
■ Der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar (FDP) sieht zwar in Sitzblockaden weder Gewalt noch Verwerflichkeit, eine Amnestie für BlockiererInnen aber lehnt er rundweg ab / „Hier geht's an die Rechtskultur“
taz: Herr Caesar, angesichts der Vorgänge in der DDR, angesichts der Demonstrationen dort: Halten Sie die juristische Verfolgung demonstrierender Sitzblockierer bei uns noch für zeitgerecht? Was halten Sie von einer Amnestie?
Peter Caesar: Nein, ich halte den Gedanken an eine Amnestie nicht für angebracht. Die DDR-Bevölkerung hat zwar bewiesen, wie wichtig das Demonstrationsrecht ist, wie Demonstrationen als dynamischer Faktor in der Politik wirken können. Das ist auch selbstverständlicher Bestandteil hier bei uns. Aber was die Sitzblockaden angeht: Es hat in all diesen Ländern auch in der großen Zeit der Friedensbewegung in der Bundesrepublik - keine Sitzblockaden gegeben. Sie waren als Mittel nicht notwendig, um politische Meinung zu artikulieren. Sitzblockaden sind zu sehr hochstilisiert worden, wobei ich stets für eine Strafbarkeit plädiert habe, weil ich der Meinung bin, hier geht's an die Rechtskultur. Denn hier sollen andere in der Ausübung ihrer Rechte behindert werden.
Die Wirksamkeit der Demonstrationen in der DDR oder der Blockaden der Stahlarbeiter von Rheinhausen bestand doch auch darin, andere zu behindern, um auf sich aufmerksam zu machen. Gerade die Straßenblockaden von Rheinhausen werden jedoch nicht verfolgt, wohl aber die Sitzblockierer.
Das ist richtig, und das habe ich damals auch schon kritisiert. Mit der DDR jedoch hat das nichts zu tun. Das waren angekündigte Demonstrationen. Das Problem in der Bundesrepublik sind zwei Dinge: Erstens die Ungleichbehandlung von Friedensbewegten einerseits, sowie Bauern, Stahlarbeitern und anderen Berufsgruppen andererseits. Das zweite ist die Strafbestimmung, auf die sich die Blockadeprozesse stützen: nämlich Nötigung - wobei von „Gewaltanwendung“ und „verwerflicher Gewaltanwendung“ die Rede ist. Dieser Nötigungsvorwurf haut den Betreffenden, salopp gesagt, irgendwie in die Fresse. Die sagen nämlich: Was wir machen, ist doch gewaltlos. Was soll daran verwerflich sein? Ein Großteil der Luft wäre raus, wenn man eine eigene Strafbestimmung hätte. Etwa: Sitzblockaden sind strafbar. Dann wäre der Begriff Gewalt nicht mehr drin und die moralische Verurteilung der Verwerflichkeit. An der Strafbarkeit änderte das nichts.
Sie plädieren für eine Gesetzesänderung?
Ich schließe mich da der Kommission zur Erforschung von Ursachen der Gewalt an. Die hat gesagt: Wir halten es für richtig, daß diese Methode strafbar bleibt. Aber Begriffe wie Gewalt oder Verwerflichkeit würden nun mal nicht auf Maßnahmen des zivilen Ungehorsams passen. Deswegen müsse der Paragraph 240 (Nötigung) des Strafgesetzbuchs geändert werden. Ich lasse in meinem Hause derzeit entsprechende gesetzliche Änderungen prüfen, die das moralische Werturteil herausnehmen.
Und warum keine Amnestie?
Eine Amnestie geht nicht, weil darunter ja alles fiele, was Sitzblockaden beinhaltet. Und da ist sich ja nicht einmal die SPD einig. Es gab eine Initiative vom Saarland, die sollte vor allem Friedensbewegte erfassen. Aber schon Nordrhein-Westfalen hat dem nicht zugestimmt, weil die an ihre Stahlarbeiter dachten. Einem Richter allein die Entscheidung zuzuordnen, was „höherrangiges Gut“ ist, Frieden, Umwelt oder Arbeitsplätze - das geht nicht.
Ich bin übrigens über die Freisprüche, die es jetzt aus verschiedensten Gründen gibt, überhaupt nicht unglücklich. Das gehört zu unserem System, daß gottlob nicht alles über eine Leiste geschlagen wird.
Aber die Justiz steuert derzeit einen seltsamen Zickzackkurs, sogar in ein und demselben Fall: Ein Amtsgericht spricht schuldig, das Landgericht als nächste Instanz spricht frei, das Oberlandesgericht wiederum kassiert den Freispruch und verweist den Fall zurück, bis der Angeklagte endgültig schuldig gesprochen wird.
Das ist für die Bürger und den Betroffenen natürlich schlimm. Für mich ist es Unabhängigkeit der Justiz . Aber der Betroffene weiß, wie die höchstrichterliche Rechtssprechung aussieht und wie die Sache ausgeht. Gemäß Bundesgerichtshof kommt es zur Verurteilung. Und die Oberlandesgerichte halten sich bislang einheitlich daran. Andere Entscheidungen stellen die subjektive Wertung des jeweiligen Richters dar. Solche Meinungen sind in Ordnung, sie werden aber im Ergebnis nicht standhalten.
Nun sind friedliche Sitzblockierer aber Vorbestrafte...
Nein, da muß ich Sie korrigieren! Erst ab 90 Tagessätzen Geldstrafe erfolgt eine Eintragung ins Vorstrafenregister. Für Sitzblockaden liegt das Strafmaß üblicherweise darunter.
Aber bei einem Mainzer Prozeß wegen eines Blockadeaufrufs wurden auch Urteile um die 30 Tagessätze als Vorstrafen verlesen.
Das hat nichts mit Vorstrafen in dem Sinn zu tun, sondern ist nur für die justizinterne Praxis. Nach draußen dringt davon nichts. Sitzblockierer tauchen in der polizeilichen Führungskartei praktisch nie auf.
Interview: Joachim Weidemann
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