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Nicaragua öffnet die Gefängnisse

Die letzten Nationalgardisten des Diktators Somoza und über tausend Contra-Kämpfer wurden freigelassen  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

In Nicaraguas Gefängnissen sitzen nur noch sogenannte gewöhnliche Kriminelle, nachdem am vergangenen Freitag die Feinde von gestern - die besiegten Contras - und die von vorgestern - die Nationalgardisten - freigekommen sind. Im Rahmen einer Massenbegnadigung wurden die letzten 39 Mitglieder der Garde des früheren Diktators Somoza und 1.151 Contras freigelassen. Diese vierte Begnadigungswelle „politischer Häftlinge“ seit 1987 ist das Ergebnis eines Treffens von Präsident Daniel Ortega mit der nicaraguanischen Bischofskonferenz Ende Januar und soll nach den Wahlen vom 25.Februar die nationale Versöhnung erleichtern. Die Nationalversammlung hatte am Mittwoch einen entsprechenden Antrag des Präsidenten gegen die Stimmen vor allem der linken Opposition abgesegnet.

Einer der Freigelassenen, der 56jährige Oberst Isaias Cuadra, fühlte sich noch immer als Offizier der Nationalgarde, als er zum letzten Mal auf dem Hof des Gefängnisses stand, das er fast elf Jahre bewohnt hatte und dem er vorher als Direktor vorgestanden hatte. Ihm wurde im Prozeß vor den Sondergerichten nach dem Sturz der Diktatur vorgeworfen, Gefangene, darunter den heutigen Innenminister Borge und den heutigen Präsidenten Ortega, gefoltert zu haben. Cuadra hatte auch die Gruppe von Soldaten angeführt, die 1976 in den Bergen von Zinica den damaligen Anführer der Sandinistischen Befreiungsfront Carlos Fonseca Amador tötete und ihm die Hände abschnitt. Cuadra und die anderen Offiziere der Somoza-Armee brüsteten sich vor der Presse, daß sie sich den Resozialisierungsprogrammen all die Jahre widersetzt hatten. Alle hoffen sie auf einen Wahlsieg der rechtsoppositionellen „UNO“, „damit die Demokratie wiederhergestellt wird“. Hauptmann Orlando Hislop, einst stellvertretender Chef des Nationalen Sicherheitsarchivs, erklärte, er sei schuldlos verurteilt worden. Ihm wird u.a. vorgeworfen, die sandinistische Guerillakommandantin und spätere Polizeichefin Doris Tijerino in der Haft vergewaltigt zu haben. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission, die vor zwei Jahren die Prozeßunterlagen aller Nationalgardisten und wegen konterrevolutionärer Aktivitäten verurteilter Personen studiert hatte, warf dem Offizier damals „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor. Auch unter den Contras fanden sich einige Prominente, so Petro Javier Nunez, der sich schuldig bekannte, 1983 das Ehepaar Barreda, das mit christlichen Basisgemeinden gearbeitet hatte, ermordet zu haben. Viele der Freigelassenen werden versuchen, sich ins Ausland abzusetzen, da sie fürchten müssen, der Privatrache eines Angehörigen ihrer Opfer anheimzufallen. Das Innenministerium stellte jedenfalls Transportmittel zur Verfügung, die alle Begnadigten in ihren Städten und Dörfern absetzen sollten.

Für die Mitglieder der sandinistischen Basisorganisationen und vor allem die „Mütter von Helden und Märtyrern“, die Söhne und Töchter entweder im Befreiungskrieg oder im Kampf gegen die rechte Contra verloren haben, sind die Begnadigungen bitter. Zwar hält sie die Parteidisziplin von Protestdemonstrationen ab, doch fordern sie um so vehementer, daß nun auch die Contra ihre Gefangenen freiläßt. Die meisten „Verschleppten“ sind allerdings vermutlich längst tot oder haben sich unter Druck in die Contra-Truppen eingliedern lassen.

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