: „Wenn wir nicht wachsam sind, wird die Apartheid sich retten“
■ Der südafrikanische Schriftsteller Breyten Breytenbach zur Situation im Apartheidstaat / Er glaubt an die „heimliche Möglichkeit, jetzt über die Vorstellungswelt hinaus ins Wirkliche zu gelangen“ / Breytenbach fordert vom ANC, neue Wege zu gehen und „unsere Widersprüche beim Namen zu nennen“
Als ehemaliger Calvinist (der progressiven Art) ist es immer noch schwer für mich zu akzeptieren, daß es so wenig Struktur und keine fortschreitende Entwicklung in der Geschichte gibt. Sie scheint eher aus einer zufälligen Reihe von Schluckaufen, Rutschpartien, Remakes, Schlingerkursen oder Verschiebungen zu bestehen. In den vergangenen 40 Jahren gab es jedenfalls Momente, da waren wir der Freiheit näher, als wir es jetzt sind. Ich kann einfach nicht länger daran glauben, daß der Erfolg sicher ist und das Volk siegen wird.
Als Buddhist ergötze ich mich an der heimlichen Möglichkeit - in diesem „neuen Raum“, den de Klerk schuf, als er einige wenige Tabus berührte -, über die Vorstellungswelt hinaus ins Wirkliche zu gelangen. Unsere Parolen werden einer harten Überprüfung standhalten müssen.
Die Afrikaaner (die Buren, d. Red.) sind für immer in Afrika. Es kann keine einfache Machtübernahme geben. Und wir können auch nicht länger den ausgebrannten Traum einer Führungspartei künstlich am Leben halten. Da ist die Rede von der Notwendigkeit der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes. Welcher bewaffnete Kampf? Nichts, kein Ding, kein Wesen, ist unwandelbar.
Um einen Wandel zu bewirken, haben wir die Chance, uns auf essentielle Punkte zu konzentrieren - wie „Moral“, „Südafrikanertum“, „Sinn und Zweck unseres Kampfes“ oder „Mitgefühl“ und „Akzeptanz“. Viel zu schnell werden wir uns wieder mit den oberflächlichen Phänomenen herumschlagen müssen. Und wenn genug Afrikaaner unbedingt den Anschein von Demokraten erwecken wollen, warum sie nicht darauf festnageln? Aber der Mensch lebt nicht von Demokratie allein.
Als ehemaliger Gefangener denke ich an Nelson Mandela. Laßt uns nicht zu sehr auf ihn verlassen. Verdammt seien Personenkult und die Grausamkeit der Heldenanbetung. Lobhudelt den Mann nicht ins Abseits. Und erdrückt ihn auch nicht mit medial angeheizten schwachsinnigen Erwartungen. Der Mann braucht eine Pause! Laßt ihn in Ruhe und einen Monat auf den Bahamas verbringen. Er ist doch auch nur ein Mensch, oder? Aber ich höre schon die Stimmen: Er gehört dem ganzen Volk.
Ich weiß ja, er wird keine Verschnaufpause bekommen. Wir werden ihn bei lebendigem Leib fressen. Ich schauere bei dem Gedanken, daß wir auch noch denen gratulieren, die ihn jetzt freilassen.
Als Südafrikaner - wissend um das Ergebnis einer langwierigen kulturellen und politischen Ausformung, wissend, daß unsere Identität Folge schwarzen Kampfes und Leides ist, auch wissend, daß wir über uns hinausgehen müssen, um zu überleben - befürchte ich, daß wir den Zug verpassen könnten.
In unseren Händen liegt die Chance eines historischen Kompromisses. Es ist unbedingt nötig, daß der ANC den Raum einnimmt, den de Klerk öffnete.
Laßt uns aber den Mann und seine Beweggründe richtig betrachten. Denn dieser Raum ist Ergebnis des anhaltenden Drucks der Massenbewegung. Es ist ein begrenzter und trügerischer Spielraum, der nur durch weitere Opposition und Widerstand vergrößert werden kann.
Die Gelegenheit beim Schopf ergreifen: das ist der Weg, wie wir zu Verhandlungen kommen, um eine Verfassunggebende Versammlung zusammenzubringen. Sie wird die Weichen zur Wahl einer demokratisch gewählten, repräsentativen Regierung stellen. Nur so gelangen wir in einen Zustand der Freiheit, um von da aus die Apartheid abzuschaffen, dieses teuflische System der Ausbeutung und Privilegiertheit durch Rassismus.
Eine solche Freiheit wird uns de Klerk nicht geben. Es ist an uns, sie uns zu nehmen. Wenn wir jetzt zaudern, herumkritteln und als ewige Opfer in Unentschlossenheit, Selbstgefälligkeit und moralischer Korruptheit verharren, wird uns die Zeit zwischen den Fingern zerrinnen. Und wir werden Sympathien und Refugien verlieren. Die Welt schuldet uns nicht länger ein Auskommen.
Als Afrikaner bin ich davon überzeugt, daß die Welt uns spätestens dann vergessen wird, wenn sich der Staub, den der letzte Kameramann nach Mandelas Freilassung aufwirbelte, gelegt hat. Afrika, geht es um den Rest der Welt, ist ein bodenloses schwarzes Loch. Der Kontinent zerfällt, und er weiß, daß er ein gesundes Südafrika braucht, will er überleben, sei es unter de Klerk oder Mandela. Wenn wir jetzt nicht wachsam und agil sind, wird Apartheid sich durch Afrika retten und legitimieren.
Als Militanter bin ich froh, daß einige unserer Mittel sich als erfolgreich erwiesen: das wachsende politische Bewußtsein durch starke Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen und ihre Kampagnen für Gerechtigkeit und Würde; die Isolation des Minderheitenregimes durch Sanktionen, die nicht nur den Falken die Flügel brachen, sondern auch einen internen Dialog erzwangen; die Ausformung eines kämpferischen kulturellen Bewußtseins; der Zusammenbruch von Barrieren des Nicht-Verstehens und Mißtrauens durch verschiedene Konferenzen. Doch als Dialektiker habe ich Angst, wir könnten immer noch Opfer unserer eigenen Propaganda werden.
Ich nenne nur ein Gleichnis: Des einen „Hälfte eines ersten Schrittes“ ist des anderen Sprung ins Ungewisse. Es ist unlogisch, von de Klerk die Abschaffung der Apartheid zu verlangen, bevor wir uns nicht herablassen, all den Widersprüchen ins Auge zu sehen und sie jenen zu erklären versuchen, die glauben, sie könnten ihren Weg in die Befreiung tanzend hinter sich bringen.
Was ist, wenn de Klerk es so anstellt, daß er das Machtmonopol behält? Sanktionen werden die Apartheid nicht begraben. Nicht nur wird unser Wunsch nach einer solchen Politik die Ungleichheit verfestigen, wir werden bald soviel Hilfe wie möglich brauchen, um die Apartheid zu beenden.
Wie schwer es auch sein mag, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß der ANC nicht länger mehr Befreiungsbewegung ist. Er wird fortan Partei sein, sicherlich Hüter einer glorreichen Geschichte des Kampfes für ein vereintes, demokratisches, freies und nicht-rassistisches Südafrika. Aber eben nur eine Partei unter anderen, die sich erst noch formieren werden. Er wird eine Partei sein, die die geschichtliche Verantwortung trug, demokratische Allianzen mit anderen Parteien einzugehen.
Demokratie ist nicht länger nur der Mechanismus, seine eigenen Leute zu konsultieren. Es ist auch die Notwendigkeit, Opposition zu ertragen und Differenzen zu akzeptieren und zu garantieren. Ein sozialistischer Staat hat jetzt keine Chance mehr - es sei denn zum Preis eines ruinierten Landes -, und trotzdem wird man, um Ressourcen umzuverteilen, eine partielle sozialistische Transformation der Wirtschaft brauchen.
De Klerk braucht Mandela, um seine Haut vor der gewalttätigen Rechten zu retten, genauso wie Mandela die de Klerks braucht, um die Pol Pots abzuwehren... Ich bin auch der Überzeugung, daß die exilierte ANC-Führung sich der de Klerkschen Herausforderung stellen und jetzt zurückkommen sollte.
Als zerstreuter Sich-Einmischender könnte ich, was Timing und Taktik anbelangt, genau das Falsche gesagt haben. Aber als Revolutionär ärgere ich mich nun einmal über das, was ich „Mangel an historischer Vision“ nenne: die offenbare Unfähigkeit der Führungsfiguren, sich, und damit auch uns, über die Barrieren aus Wut, Schmerz und Mißtrauen hinaus zu erheben. Ich spüre eine Kleinlichkeit, die sogar riskiert, uns eine entschiedene Bewegung in einem entscheidenden Moment unserer Geschichte zu stehlen.
Jetzt ist der Zeitpunkt, unsere Widersprüche beim Namen zu nennen. Ein Festhalten an unseren Idealen - für die so viel geopfert wurde - und wirkliche Einigkeit im Handeln können nur durch einen deutlichen Sprung nach vorn getragen werden. Wir haben nichts zu verlieren außer Apartheid.
Breyten Breytenbach emigrierte 1959 nach Europa und war in der Anti-Apartheid-Bewegung aktiv. Als er 1975 heimlich nach Südafrika zurückkehrte, wurde er wegen „Terrorismus“ zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. 1982 wurde er entlassen und lebt seither in Paris. Sein bekanntestes Buch ist: „Bekenntisse eines Albino-Terroristen“. Breytenbach hat an mehreren Treffen zwischen ANC und liberalen weißen südafrikanischen PolitikerInnen, Geschäftsleuten und Kulturschaffenden teilgenommen. Den Beitrag entnahmen wir der britischen Tageszeitung 'The Guardian‘ vom 9. Februar.
Übersetzung: Andrea Seibel
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