: Jetzt kommen die Ost-Handwerker ganz legal
■ Mitzscherling stellte gestern neue „Mittelstandsförderung“ für DDR vor / Ost-Betriebe dürfen nun frei anbieten
Ab sofort hat ein modernisierungswilliger Mieter in Ost -Berlin und in der DDR nichts mehr zu lachen. Sollte er auf die Idee kommen, neue Fenster einsetzen oder das Bad fliesen zu lassen, wird er nach Handwerkern lange suchen müssen. Zumindestens wenn kein Westgeld im Sparstrumpf ist. Der dringend benötigte Tischler oder Fliesenleger hat ab sofort die Möglichkeit sich seinen Arbeitsort frei auszusuchen. Er braucht nicht mehr für Ostmark Ostarbeiten zu erledigen, sondern kann jetzt gegen Westmark in West-Berlin oder in der Bundesrepublik seine Arbeitszeit verkaufen. Vorausgesetzt der Tischler ist kein Feierabend-Schwarzarbeiter, sondern Werktätiger in einem bisher nicht valutaberechtigten Unternehmen.
„Mittelstandsförderung“ nennt sich diese zwischen den Bonner und Berliner Behörden am 8. Februar beschlossene Vereinbarung und sie soll, wie der Senator für Wirtschaft Peter Mitzscherling (SPD) gestern vor der Presse erklärte, „denn innerdeutschen Handel insbesonders zwischen kleinen und mittleren Firmen deutlich beleben und dem sich entwickelnden gewerblichen Mittelstand in der DDR Impulse verleihen“. Die DDR-Regierung wurde über diese einseitigen Maßnahmen nicht informiert, auch im Regionalausschuß Wirtschaft war die „Vereinfachung des innerdeutschen kommerziellen Zahlungsverkehrs“ bisher kein Thema.
Aufgehoben wurden mit dieser marktwirtschaftsfördernden Regelung die bisher strengen Bestimmungen des Berliner Abkommens von 1951. Bislang durften Geschäfte zwischen deutsch-deutschen Unternehmen nur „unbar“ und gegen sogenannte Verrechnungseinheiten abgewickelt werden. Jetzt ist, wie Mitzscherling betonte, „ein Stück Normalität“ in die Wirtschaftsbeziehungen eingekehrt.
Ab sofort können alle Verträge im innerdeutschen Handel bar oder auch unbar in DM erfüllt werden. Alle nicht planwirtschaftlich gebundenen Unternehmen dürfen jetzt unabhängig vom jeweiligen Stand des Verrechnungsverkehrs also auch vom Swing - jederzeit in der Bundesrepublik und in West-Berlin Waren kaufen, verkaufen, Dienstleistungen berechnen oder Waren gegen Dienstleistungen tauschen.
In der Praxis bedeutet die Regelung, daß jeder Handwerksbetrieb oder jedes kleine und mittlere Unternehmen aus Berlin oder der DDR seine Erzeugnisse und Dienstleistungen an Privatpersonen oder Geschäftspartner direkt ohne bürokratischen Aufwand verkaufen und den Verkaufserlös in bar annehmen oder auf ein im Westen frei verfügbares Konto überweisen lassen kann.
Wie Senator Mitzscherling auf Anfrage einräumte, werden die neuen Bestimmungen nicht nur das „marktwirtschaftliche Element“ im Osten stärken, sondern auch einen „zusätzlichen Wettbewerb“ in der Berliner Wirtschaft provozieren. Nicht auszuschließen sind „Lohn-dumping-Versuche“. Mitzscherling vertraut auf den Markt und darauf, daß sich „das Preisgefüge durch Angleichungsprozesse“ harmonisieren wird. Der Senator: „Die Wiedervereinigung gibt es nicht zum Nulltarif“.
ak
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