: In der Abfallgrube der Republik
■ Notizen aus der Diskussion über den Film „Denk bloß nicht, ich heule“ in Demmin am 27. März 1965
An der Test-Filmvorführung nahmen ungefähr 200 Personen teil, darunter etwa 20 Jugendliche unter 18 Jahren. Das Gros der Teilnehmer bestand aus Lehrern und Funktionären verschiedener Partei- und Staatsinstitutionen.
Dieter Scholz, Produktionsleiter im Kreislandwirtschaftsrat:
Was ist der Sinn dieses Films? Habe zehn Jahre gelernt und gearbeitet, viel von älteren Genossen gelernt. Dieser Film ist ein Schlag ins Gesicht. Er zeigt nicht das Typische. Wir haben den Sinn des Lebens gefunden, aber in diesem Film ist er nicht. Sehr unklar ist die Rolle der Genossen. Film zeigt nicht unser Selbstbewußtsein und die selbstbewußt gewordenen jungen Menschen. Film wirft ausgedachte Probleme auf, überspitzt, dramatisiert, aber er löst nichts, und das muß jeder Film.
Hube, Kreisleitung Kultur und Volksbildung:
Es geht nicht um ästhetische Fragen. Einzige Frage: Wie wird unser Leben widergespiegelt? Film deprimiert. Unser Leben hat viel mehr Positives als hier gezeigt wird. Peter ist anarchistisch und nihilistisch. Der Film wühlt in der Abfallgrube der Republik. Unsere Jugend hat ein höheres Niveau.
Christel Bach, Lehrerin:
Jeder Film muß klar und eindeutig erziehen. Wie soll das dieser Film? Ich habe immer gehofft, daß sich die Handlung irgendwann zum Guten wendet. Es gibt keine positiven Figuren. Vielleicht gibt es hier und da solche Fälle und einzelne Leute, die diesem Peter ähneln, aber das ist nicht das Gros unserer Jugend.
Pahl, Lehrer in der Pestalozzi-Oberschule:
Viele Probleme, ohne eine Erklärung zu geben. Peter ist abwegig. Wenn man eine solche Figur schon zeigt, muß man zeigen, wie er gewandelt wird. Dazu kein Ansatz. Der Schluß ist völlig offen. Der Vater ist am Anfang unklar. Warum und woher ist er so? Der Film gibt Einblicke in einige abwegige Situationen. Er ist eine Aneinanderreihung einzelner negativer Szenen, aber kein Film.
A:
Der Film trifft nicht die Wahrheit. Solche Dinge mag es hier und da gegeben haben, aber die Proportionen stimmen überhaupt nicht. Die Prügelei von den Halbstarken ist nicht bezeichnend für unsere Jugend. Wo gibt es so einen Direktor oder Lehrer? In Demmin kennen wir solche Probleme nicht.
B:
Der Film zeigt nur, daß die Partei eine Null ist. Der Lehrer Röhle ist doch Genosse. Wieso hat er nicht die Fähigkeit, aus Peters Anlagen etwas zu machen? Der Film greift die Partei an, „sie ist unfähig den Staat zu leiten“. Peter ist übertrieben. Beispiel: das Lachen im Schulflur. Wenn es mal solche Leute gibt, die sich so verhalten wie hier der Peter, dann haben wir ganz andere Organe, die sich darum kümmern. Er spurt einfach nicht. Und da muß man ihm das beibringen. Aber so etwa ist keine Figur für einen Film, kein Held.
(...)
Schülerin:
Mir ist nicht klar geworden, was die Autoren sich gedacht haben. Der Film hat mich verwirrt. Viele Jugendliche nehmen sich Vorbilder, von denen sie sagen, das ist ein Kerl. Dieser Film gibt ihnen ein schlechtes Vorbild. Aber Kunst soll doch erziehen.
(...)
Lehrer:
Denkt bloß nicht, wir heulen, wenn Ihr die Schule und die Lehrer so schlecht und falsch malt, wie es hier geschieht. Die Autoren leben im luftleeren Raum. Warum tischt man uns Probleme auf, die es vielleicht hier und da vor zehn bis fünfzehn Jahren gegeben haben mag. Warum ein Generationsproblem, das es nicht gibt? Reichen die Erwachsenen den Jugendlichen nicht die Hand? Wir haben an unsere Schule eine ganz andere Arbeit und ein ganz anderes Klima. Dieses Klima schmeckt uns nicht. Wie und wo soll ein solcher Direktor existieren? Warum wird ein solch hehres Denkmal wie Buchenwald zu so niedrigen Zwecken mißbraucht? Hier liegt kein Thema, keine Idee vor.
(...)
Nach etwa einer Stunde und fünfzehn Minuten wurde eine Pause gemacht. In der Pause wurden die anwesenden Jugendlichen (Schüler) durch Genossen der Jugendkommission ermuntert, endlich auch ihre Meinung zu sagen. In der darauffolgenden etwa noch dreiviertelstündigen Diskussion sprachen dann unter anderem drei SchülerInnen, deren Meinung sich in der Grundhaltung mit der des einzelnen Schülers aus dem ersten Teil deckte und am besten durch die Schülerin Riemann wiedergegeben wurde.
Riemann, Schülerin:
Hier wurde immerzu von allen gesagt, das gibt es nicht, aber ich bin anderer Meinung. Ich kenne keinen solchen Peter. Er ist vielleicht ein Sonderfall, aber ich kenne viele von seinen Problemen. Und die gibt es bei uns ganz genau so. Es ist nicht immer so, wie sich die Erwachsenen das von uns vorstellen. Und dieser Peter hat einfach noch kein Weg gefunden, und darum weiß er nicht, was er machen und wohin er gehen soll. Und gibt es diese Jugendlichen in Demmin nicht genug? Gehen Sie doch abends auf die Straße in Demmin! Ich finde, in dem Film steckt sehr viel Wahrheit, auch wenn er keine Lösungen gibt, dann hilft doch schon, daß man darüber reden kann. Ich verstehe nicht, warum hier die Erwachsenen alle so gegen den Film diskutieren. Warum wollen die Genossen nicht die Wahrheit wissen.
Die vollständigen Notizen, ebenso die einer weiteren Diskussion mit Jugendlichen sind nachzulesen in „Prädikat: Besonders schädlich“. Hrsg. von Christiane Mückenberger, Henschelverlag. Erscheint demnächst
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