: VIDEO VERITE
■ Ein Gespräch mit dem Videokünstler Paul Garrin
taz: Wie hast du angefangen, mit Video zu arbeiten?
Paul Garrin: Ich habe 1980 auf der Kunsthochschule meine ersten Videos gemacht, aber die zeige ich lieber nicht. Das waren Collagen aus schwarz mitgeschnittenen Fernsehnachrichten, gemischt mit eigenen Aufnahmen, Szenen aus dem richtigen Leben.
Siehst du dich selbst als Dokumentaristen?
Nein, weil Dokumentarfilmer oft vorgeben, objektiv zu sein. Ich glaube, daß das überhaupt nicht möglich ist. In der Minute, in der man etwas mit der Kamera festhält, ist das schon subjektiv. Meine Arbeit würde ich eher als Video Verite bezeichnen.
Du benutzt viel Technologie für deine Videos, was hältst du von Computeranimation?
Ich mag keine Computeranimation, keine mit dem Computer hergestellten Bilder, aber ich benutze den Computer als Hilfsmittel für Verfremdungen. Wenn man diese High-Tech -Bilder mit politischen Inhalten kombiniert, ist das leichter zugänglich. Normalerweise hat ein dogmatischer Dokumentarfilm ein sehr begrenztes Publikum. Ich hoffe, so ein größeres Publikum zu finden, Leute, die sich normalerweise mit solchen Themen nicht abgeben würden.
In deinem Tape „The Man with the Videocamera“ bezeichnest du Video als Waffe, Werkzeug und Zeuge und sagst, es könne den „Big-Brother„-Effekt umdrehen. Glaubst du das wirklich?
Die Idee vom Big Brother nach George Orwell ist, daß der Staat die Kontrolle über die Medien hat und damit das Volk beobachtet. Aber das stimmt nicht mehr. Das mag ein Traum gewesen sein zu der Zeit, als Video sehr teuer war, und die einzigen, die es unter Kontrolle haben konnten, gleichzeitig die Macht repräsentierten, große Firmen oder Regierungen. Aber jetzt, mit der billigen Normalverbrauchertechnologie, ist es wirklich in der Hand des Volks. Das Volk kann heute den Staat überwachen. Es zirkuliert eine Menge dieser Underground-Tapes. Die Leute haben zwar meistens nicht die Chance, sie auch zu senden, aber sie können das Material aus dem Land bringen, damit andere Leute es sehen können. Vor Video schmuggelte man Papiere oder Fotografien, aber mit Video kann man eine richtige Geschichte erzählen - aus erster Hand.
Interview: blick
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen