: WAS GESCHIEHT?
■ „Es geschieht im Lkw“ - kleine Filme in der Kantstraße
Am Rand der großen Filme sind die kleinen und neben den kleinen sind noch kleinere, regionale Filme, die sich vor allem dadurch auszeichnen, daß sie nicht durch die standardisierende Wirtschaftsmaschine kapitalistischer Großproduktionen oder die vielleicht ähnlich nivellierende Subventionsmaschine gegangen sind. Das heißt nun nicht, daß große Filme langweilig seien - sie bedienen sehr genau die Wünsche der Zuschauer - und einer unserer wesentlichsten Wünsche ist der nach Neuheit - doch diese Wünsche richten sich nach dem immer schon Bekannten, das eben nur noch nicht seine Visualisierung oder Versprachlichung erfahren hat. Das ist auch schön und man lacht; wie man darüber lacht, daß im Quasimodo-Cafe am Delphifilmpalast immer noch der gute alte Remmitrick angewandt wird - man bestellt einen Osborne, kriegt einen Osborne und soll einen Remy Martin bezahlen -, oder wie man darüber weint, daß die Liebesgeschichte im Film doch so ähnlich traurig irgendwie zu Ende geht, wie die eigene.
Wenn es in der Kunst darum geht, eine eigene Sicht von der Welt zu entwerfen und wenn sich demokratische Kunst dadurch auszeichnet, daß eine eigene Sicht nicht nur denen vorbehalten ist, deren Wünsche und Bilder mit denen der Allgemeinheit übereinstimmen oder die - selten genug - so stark sind, daß sie sich gegen den Industrieapparat durchsetzen können, sind Low- und No-budget-Filme, deren Unterstützung sich das Filmbüro Berlin zur Aufgabe gemacht hat, sicher das demokratischste Medium. Das Filmbüro Berlin e.V., gegründet im Januar 1989, zynisch, moralisierend, zunächst angefeindet, weil hier angeblich Subventionen - sie liegen für die Es geschieht im Lkw-Geschichte bei lächerlichen 1.300 Mark - abgezogen werden sollten, tat sich mit dem Mirona-Kino zusammen. Im umgebauten Lkw hat sich Mirona zur Aufgabe gemacht, die Leute nicht ins Kino, sondern das Kino zu den Leuten zu bringen.
Bis zum Freitag hat man jedoch einen festen Standplatz; zwischen einem bösen kleinen Kino verratener Wünsche und dem Delphi. Joachim Lünenschloß, gelernter Schreiner, schreinerte und pinselte noch eine Nacht vor Inbetriebnahme an der kleinen Treppe, die den Zuschauer in den Kastenwagen führt. Eng, doch nicht zu eng, also so, daß einem jeden warm ums Herz wird, sitzt man und schaut nach vorne. Und da vorne, da läuft und ruft ein Bärtiger im weißen Kittel auf den Plätzen der Stadt, am Kudammm und anderswo nach „Mehr Herz“. „Die Welt braucht mehr Herz“ - in schwarz-weiß und Super-8. Und ein Penner mit Rucksack sagt „Hier ist doch Harz“. Der nach Liebe und Verständnis Suchende weiß, daß Herz rar ist auf dieser Welt und muß lange suchen, bis er in einer Fleischerei ein wenig Herz für 6 Mark 66 bekommt. Glücklich kopiert er die Herzen, wie der Filmer, Andreas Fischer, erzählt mit einer halben Flasche Wodka im Bauch, verteilt 66 Kopien unters Volk, und ein dicker Mitbürger bedankt sich: „Ich danke dir mein Freund, denn jetzt hat die Welt mehr Herz.“
„Daß alles unmöglich ist, das ist ja bei allen von uns hinten drin“, hatte ein Filmbüromitarbeiter noch im Cafe gesagt. Im Lkw findet diese Unmöglichkeit ihren Ausdruck in einer Einfachheit, die sich die eigenen Stil- und Erzählmittel nicht von den Großen vorschreiben läßt. Es ist unmöglich, einen Schwarzweißfilm über bunte Bilder zu machen, und in der Unmöglichkeit des Alltäglichen verläßt „Bruno“ aus der Rappelkiste als Indiana-Jones-Zitat mit letzter Kraft Betonia. Er geht in die Wüste und findet dort seinen Schatz, ein Housemusikzimmer, in dem er ausruhen kann. Und schaut aus dem Fenster in die toten Augen der Städte; weiße Steine mit schwarzen Flecken sind die expressionistischen Zitate und werden abgelöst von den braunstichigen Standphotos verlassener Städte. Diese Unmöglichkeiten - unspektakulär wie fast alle wirklichen Unmöglichkeiten, wie als Künstler vom Sozi leben zu müssen werden zu Schwierigkeiten - beim Lesen: im Alphabet des „Linolfilmers“ Jakob Kirchheim. Buchstaben erscheinen, weich wie mit Wachsfarbstiften gemalt. Verschoben über Zeilen ergeben sie Sätze oder Wörter - „Böse Buben bombardieren“ oder „Handlungsspielraum„; addieren oder subtrahieren sich und man lernt wieder neu, freudig und neugierig wie ein Erstkläßler, zu lesen. Sicher denkt man dabei ans geniale Prince-Video Sign o'the time, aber es ist doch anders. Im Video mit seinen klaren Abgrenzungen der Worte (nicht der Buchstaben) erscheint der Text auch als Stimme, die wir lesend im Inneren wiederholen, auf daß sie sich irgendwo als Lebensgefühlsprogramm im Hirn verbunden mit den bunten Bildern einschreiben möge; im Super-8-Film lernt man dagegen die Buchstaben zusammenzufügen, und die dabei entstehenden Wörter erscheinen in ihrer Materialität, die nur lose verknüpft ist mit ihrem Sinn.
Einige andere Filme fügen sich an - einfach wie die Beschriebenen, unspektakulär und schön; wie eben die kleinen Unterschiede wesentlich zwischen den Menschen und ihren Orten sind, wie die kleine Liebe schließlich nicht nur freundlicher, sondern auch wirklicher ist. So geht man hinaus, überrascht, daß eine Stunde schon vergangen ist und erholt vom großen Kino, das einen so aufgeregt eingematscht hatte mit seinen Wichtigkeiten.
Detlev Kuhlbrodt
No- und Low-budget-Filme aus Berlin im Mirona Kino, Kantstraße, gegenüber dem Delphi, von 15 bis 21 Uhr ständiger Einlaß, noch bis zum 16. Februar.
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