: DAS UNAUSSPRECHLICHE
■ „Betrogen“ von Harun Farocki im FSK-Kino
Beim Tauchen nach verborgenen Schätzen ist schon so manche rostige Dose ans Tageslicht gekommen. Von Farockis Spielfilm „Betrogen“, 1985 gedreht, bisher ohne Verleih und in Berlin noch nicht aufgeführt, versprach sich das FSK-Kino wohl einen vom Filmkommerz wegzensierten Regalfilm, womöglich noch geistig anregenden Inhalts. Doch diese Filmdosen zu entstauben, lohnte nicht.
Abgründe öffnen sich bei jedem Wort. Hinter der Banalität verbirgt sich Unaussprechliches. Die Schauspieler selbst schenken ihren aufgesagten Texten keinen Glauben. Die durchgewichsten Kulissen scheinen bei der Entrümpelung des Fernseh-Fundus als Spende an junge Filmemacher abgefallen zu sein. Doch schon ahnt man es: Die Künstlichkeit ist Absicht. Bilder können nichts zeigen als nur die sterile Oberfläche eines Lebens, dessen wirkliche Erschütterungen unsichtbar bleiben. Ja, in den Schnittstellen, den blinden Flecken der Wahrnehmung, lauert die Wahrheit. Unfähig jemals mehr zu erfahren, bleiben wir Bildkonsumenten.
Jens Baumann (Roland Schäfer), der Klempner, verliebt sich in Anna (Katja Rup), den Vamp aus dem Nachtclub. Schon schmilzt ihre abweisende Kälte, schon lädt sie ihn ein zum gemeinsamen Hüten der Kinder ihrer Schwester Edith (Nina Hoger). Anna, obwohl süchtig nach der Nacht und lüsternen Männerblicken, läßt sich ein auf eine Heirat mit Jens. Warum, weiß kein Schwein: So irrational ist eben das Weib in seiner unauslotbaren Sehnsucht. Nur Eddi, ein Seher im Gewande moderner Schizophrenie, ahnt den Schatten über Annas Geschick. Sie, die sich in ihrem unbändigen Freiheitsdrang in keine Neubauwohnung sperren läßt, läuft dem den ganzen Tag für seine Ratenabzahlungen klempnernden Jens davon, amüsiert sich mit betrunkenen Soldaten in der „Oase“ von Osnabrück. Kann ein Auge trocken bleiben bei Jens‘ Schmerzensruf: „Das tut mir weh, als würde man mir einen Schraubenzieher im Herzen rumdrehen.“ Wer verzeiht da nicht, wenn er sie versehentlich um die Ecke bringt? Doch, immer noch nicht genug des inneren Aufruhrs unter debiler Oberfläche, kommt jetzt Schwester Edith ins Spiel, die Kindsmutter, die in Nachahmung Annas bald selbst deren verruchten Launen verfällt. Unter einem Identitätsproblem tut's der deutsche Film eben nicht.
Anna sagt, als Jens ihr Betrug vorwirft: „Sie bezahlen ja auch im Kino, obwohl sie wissen, daß die Helden nicht wirklich sterben.“ Sicher sollte man diese trickreich eingestreute kritische Selbstreflexion des Mediums ernst nehmen und sich diesmal nicht freiwillig dem Betrug aussetzen.
„Betrogen“ wurde von der Common Film Produktion Berlin (Cinegrafik: Helmut Herbst), Winckelmanns Filmproduktion und dem Bayrischen Rundfunk produziert in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Filmförderung, der Filmförderung des Hamburger Filmbüros und der Filmförderung des Bundesministers des Innern. Das Drama von der Hure und dem Biedermann muß den Gremien echt an die Nieren gegangen sein.
Farocki hat seitdem auf jede weitere Vorgaukelung einer Handlung verzichtet.
Katrin Bettina Müller
„Betrogen“ im FSK-Kino, Wiener Straße 20, 15.-21. Februar, 22Uhr.
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