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EINE FRAGE DER GRAMMATIK

■ Rosemarie Koczy in der Galerie Haas

Die Figuren in den Bildern scheinen den Leuten im Raum zu entsprechen. Als ob das Vernissagenpublikum das Gegenstück zu den Bildern wäre und die Bilder eine Ergänzung auf die parlierenden Leute davor. Es paßt - auf den ersten Blick. Die Figuren sind hell und die Besucher in schwarzem Gewand. Aber so nonchalant die Schicken Standbein-Spielbein variieren, so kümmerlich und abgehärmt blicken die Figuren von den Wänden - erbärmlich verschrumpelt, aber mit Sorgfalt ziseliert.

Feinen Federzeichnungen entspringen Figuren und Köpfe. Düstere Gestalten. Sie wirken elendig abgemagert und mit großen hohlen Augen so furchtsam wie erschreckend. Aber nie grotesk; immer schön im gerade noch Akzeptablen. So auch der Strich: Überraschungslos. Keine Verwirrung. Da ist der Grund, und darauf ist die Figur gestrichelt. In der Zeichnung liegt die Qualität dieser Bilder nicht. Sie entspringt dem menschenähnlichen Ausdruck.

Es wäre leicht, diese Bilder mit anderen Bildern zu vergleichen und ihre Verwandtschaft festzustellen: Kubin, Dubuffet, Borofsky. Aber Kunst über Kunst ist nicht zu sehen - obschon diese Bilder einem auf Anhieb bekannt vorkommen. Das Eigentümliche liegt weniger im Vordergründigen als in den Schraffuren des Hintergrunds. Sie sind in der Wiederholung, in der immer wieder abgesetzten und wieder angesetzten Formulierung, ein imaginärer, irrealer Raum, der sich so sehr zurücknimmt, daß die Figuren mühelos im Ungefähren, Ungewissen erkennbar sind und sich also für Ergänzungen anbieten. Das Hintergründige bezeichnet nichts. Es besteht aus Strichformationen, ist unnachgiebig und geduldig, stur und ausdauernd Strich um Strich gesetzt. Aus diesen Tausenden von Strichen erscheint die Figur hell und grob angedeutet, stets mit geschwärztem Fokus; entweder sind die Augen schwarz ausgehöhlt oder die Hände in Tinte getaucht oder beides.

Auge und Hand (Blick und Körper), das sind die „Werkzeuge“ und Berührungspunkte der Zeichner- und MalerInnen, auch die von Rosemarie Koczy. Der ausgestellte Zyklus aus Federzeichnungen kann als Allegorie einer Person, die zeichnet, gelesen werden, das Gezeichnete als eine andere Art des Selbstporträts. Ohne autobiographisch zu sein - das ist möglich, für den Betrachter aber belanglos - sind es schattenhafte Porträts, denen eine Person im Traum begegnet und nicht weiß: ich, er, sie, es, wir - oder was?

Das Selbst wird eine Frage der Grammatik in diesen namen und titellosen Zeichnungen. Sie suchen einen Zusammenhang. Deshalb sind sie jenseits von Comic und Cartoon mehr als nur gestrichelte Figuren. Sie erzählen keine Geschichte. Sie erscheinen wie in einem unangenehmen Traum aus ungewissem Grund und geben eine Antwort, die ihre Frage sucht.

Die meisten Besucher standen leicht gebeugt in kleinen Gruppen mit dem Rücken zur Wand. Wie immer geht es an einem Eröffnungsabend nicht um die Bilder, sondern um Kommunikation. Aber an den Wänden standen - warteten die Figuren: Bis sie in einem Traum ungefragt erscheinen: schattenhaft, gekrümmt, geplättet, zerfahren.

Peter Herbstreuth

Rosemarie Koczy, Zeichnungen, in der Galerie Michael Haas, Niebuhrstraße 5, 1-12, noch bis zum 3.März.

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