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An der Wall Street hat sich's ausgedrexelt

■ Brokerhaus Drexel vor der Pleite / Junk-Bond-Markt vor dem Zusammenbruch

Berlin (taz) - Am Himmel über New Yorks Wall Street droht neues Ungemach. Das US-amerikanische Wertpapierhaus Drexel Burnham Lambert funkte gestern verzweifelte SOS an seine Kunden, sofort 100 Millionen US-Dollar bereitzustellen, um angesichts der leeren Kassen den Tag überstehen zu können. Letzte Woche gelang es dem Finanzunternehmen nur mit größter Mühe, fällige Industriewechsel in Höhe von 250 Millionen Dollar weiterzureichen. Die Investment-Bank Standard & Poor's entschied sofort, die Wechsel von Drexel mit der Kategorie „spekulativ“ zu bewerten. Der Anfang vom Ende war damit besiegelt. Der Vergleichsantrag von Drexel ist bereits auf dem Wege zum Konkursrichter. Gemutmaßt wird, daß die belgische Groupe Bruxelles Lambert, die bereits 26 Prozent der Geschäftstätigkeiten des Wertpapierhauses kontrolliert, die lukrativen Betriebsteile übernimmt.

Drexel ist das prominenteste Opfer der während der achtziger Jahre modisch gewordenen finanzpolitischen Eskapaden, die den euphemistischen Namen „Finanzinnovationen“ erhalten haben. Ausgerechnet ihr früherer Mitarbeiter Michael Milken, der wegen Insider -Handel aus dem Verkehr gezogen werden mußte und dessen illegale Geschäfte dem Finanzhaus eine Strafe von 650 Millionen US-Dollar eingetragen haben, hat die Vorreiterrolle auf diesen Märkten gespielt. Von ihm wurden die sog. Junk Bonds - hoch verzinsliche, aber äußerst risikobehaftete Schuldverschreibungen, mit denen die Übernahmewelle finanziert wurde - eingeführt, die Drexel jetzt den Hals gebrochen haben. Dieser schnell gewachsene Markt, der heute ein Geschäftsvolumen von etwa 200 Milliarden US-Dollar umfaßt, ist seit geraumer Zeit großem Druck ausgesetzt, weil sich gezeigt hat, daß die mit Junk Bonds finanzierten Übernahme-Abenteuer den ökonomischen Erwartungen der Spekulanten nicht entsprechen. Die daraufhin einsetzende Talfahrt der Kurse dieser Schuldverschreibungen bescherte den Investoren wie den Emittenten große Verluste. Betrug der Brutto-Gewinn von Drexel im Jahr 1986 noch knapp eine Milliarde US-Dollar, so konnte das Unternehmen seither nur noch Verluste ausweisen. Die kritischen Beobachter des US-amerikanischen Finanzdschungels scheinen Recht zu bekommen: Die auf Sand gebauten Geschäfte erzeugten so viel Instabilität, daß letztlich der kleinste Anlaß ausreicht, um das Kartenhaus zusammenbrechen zu lassen. Die deutsch -deutschen Währungsturbulenzen boten jetzt diesen Anlaß. Weil die internationale Finanzwelt mit schnell steigenden bundesdeutschen Zinsen rechnet, reduzieren sie ihr Engagement auf dem US-amerikanischen Wertpapiermarkt. Dadurch beschleunigte sich auch der Kursverfall der Junk Bonds, und erhöhte sich der Liquiditätsbedarf der Schuldschein-Besitzer. Immerhin kann Drexel in Anspruch nehmen, das erste Opfer des Endes der internationalen Nachkriegsordnung zu sein. Es darf spekuliert werden, ob der Kollaps des Branchenriesen zu weiteren Konkursen an der Wall Street führt.

Zausel

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