piwik no script img

„Man behandelt die DDR-Regierung, als wäre sie nicht mehr existent“

Antje Vollmer, Fraktionssprecherin der Grünen, über den Modrow-Besuch in Bonn  ■ I N T E R V I E W

taz: Auf den Fernsehbildern wirkte Modrow sehr demoralisiert. Welchen Eindruck hatten Sie nach Ihrem Gespräch vom DDR-Ministerpräsidenten?

Antje Vollmer: Auf mich wirkte er keineswegs demoralisiert, sondern eher wie einer, der bereit ist, Klartext zu reden, der wütend ist und entschlossen.

Entschlossen wozu?

Er ist jedenfalls nicht bereit, die Unterschrift unter seine eigene Kapitulationsurkunde zu setzen. Und er ist dazu entschlossen, zwischen sich und den Forderungen des Runden Tisches kein Papierbreit Platz zu lassen. Das größere Entsetzen lag bei den Ministern vom Runden Tisch. Die waren über die kaltblütige Art der Ablehnung ihrer eher bescheidenen Vorschläge einfach platt.

Dieselben Leute waren als Angehörige der Opposition in den Monaten davor noch hofiert worden.

Das Hofieren lief bis zu dem Zeitpunkt, an dem man sich entschieden hat, die Währungsunion jetzt und sofort durchzuziehen und damit die Kapitulation der DDR einzuleiten. Ich habe in den letzten Tagen oft befürchtet, daß es in der DDR gar nicht mehr zu den Wahlen der Volkskammer kommt, weil die von Bonn gefütterte bundesdeutsche Medienmaschine die Bevölkerung der DDR schon zuvor völlig demoralisiert hat. Das wäre die glatteste Übernahmelösung gewesen, ohne sich noch lange mit Zwischenregierungen herumschlagen zu müssen. Dies scheint zwar nicht mehr durchführbar zu sein, aber man behandelt die DDR-Regierung und den Runden Tisch auch jetzt bereits so, als wären sie schon nicht mehr existente Größen. Und auch der kommenden DDR-Regierung wird keinerlei Spielraum mehr gelassen.

Hat sich Modrow eigentlich schon mit dem Anschluß abgefunden?

Ich glaube nicht, daß er noch mit einer realistischen Alternative rechnet. Modrow hat auch von einem grundsätzlichen Scheitern des Sozialismus gesprochen. Er gehört nicht mehr zu den Philosophen des Dritten Weges, jedenfalls nicht für die DDR. Wenn Modrow noch mit einem Scheitern des Anschlusses rechnet, dann nur, weil hier bei uns die Stimmung umkippt. Daher kommt ja auch die Bonner Eile, Fakten zu schaffen.

Wenn Modrow wütend ist, wie Sie sagen, warum kann er solch einen demütigenden Gipfel nicht einfach platzen lassen?

Es hat darüber Diskussionen gegeben, ob man nach den Äußerungen Kohls und Genschers nach dem Moskau-Besuch den Gipfel ganz fallen lassen könnte. Aber Modrow ist eben ein redlicher Verwalter dieses Übergangsprozesses in der DDR. Er steht zu seiner eigenen Geschichte, und er vollzieht deshalb auch die letzten Schritte seines Landes ganz persönlich mit. Vermutlich wollte er auch die Sowjetunion nicht brüskieren. Deshalb konnte er schlecht sagen, daß sein Besuch nach den Moskauer Äußerungen eigentlich überflüssig ist.

Wie wird sich Modrows Besuch und der in Bonn bewußt zur Schau gestellte Bankrott der DDR auf die Bevölkerung dieses Landes auswirken?

Ich bin schon lange der Meinung, daß die Leute in der DDR nicht trotz, sondern wegen der Wiedervereinigung ausreisen. Sie wissen nämlich sehr genau, daß sie dann im Westen einen Standort-Vorteil haben. Das ist ja in Bonn auch klar gesagt worden. Dies wurde nicht nur durch die drastische einverleibende Körpersprache von Kohl deutlich, es wurde ja auch verbal recht offen gesagt, was die DDR künftig zu sein hat: ein Niedriglohn-Land mit günstigen Investitionsbedingungen und faktisch ohne sozialen Schutz für die Bewohner. Ohne Schutz auch für die Eigentümer von Grundstücken, für die Bauern, für die Sparkonten der kleinen Leute, ohne eine Sozialcharta gegen die Arbeitslosigkeit. Da kann man es niemandem verdenken, wenn er die Koffer packt.

Sie haben Modrow gestern an den Ort erinnert, an dem diese deutsch-deutschen Gespräche stattfanden?

Dort, wo die Gespräche mit Modrow stattfanden, stand früher die jüdische Synagoge. Wir haben vergeblich versucht, den Abriß der Synagogen-Reste zu verhindern. Jetzt steht dort eine Nobelabsteige und ein Parkplatz genau über dem Platz der Synagoge. Daß in demselben Haus jetzt diese Gespräche liefen, das paßt zu der Vorgeschichte.

Interview: Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen