piwik no script img

Großes kleines Welttheater

■ Ada Hecht & Berty Corazolla, Berliner Originale: „Chansons zwischen Gestern und Morgen“

Als würde die Großstadt wieder zum Moloch und zur Versuchung der 20er Jahre, als Bubikopfmädels unter die Räder kommen wollten, als man in Tanzpalästen tanzte, die Esplanade hießen oder in verrufeneren Spelünkchen mutig lüstern wurde, als es noch Mes alliancen gab, Flaneure flanierten, rote Haare rot und bleiche Liebe tot waren. Wir sind zwar auf dem Orchesterboden im Schnoor im Jahre 1990, aber nur rein theoretisch. Denn wenn Ada Hecht und Berty Corazolla mit Tucholsky, Kästner und Brecht

einerseits, und mit Valeska Gert und Friedrich Hollaender andererseits auf die Bühne kommen, ist die Zeit und der Bär los.

Berty Corazolla, 84, bedient beinah stoisch ihren Kurzflügel und sieht verwegen großmütterlich aus in ihrer Goldlameebluse. Ada Hecht, 77, wahrscheinlich letzte Berliner Diseuse, kommt in einer schwungvollen Mantille, schwarz glitzernd wie eine klare Nacht mit tausend Sternen, aber darüber geht ihr strahlendes Gesicht mit den weißblonden Haaren wie eine Sonne auf.

Und wenn sie singt mit dieser tiefen, rauhen Stimme, dann ist sie die lebensweise grand dame-femme fatale, mit der man Pferde stehlen kann, patent abgründig , hat schon alles gesehen und besungen und schon ganz andere als uns Norddeutsache um den Finger gewickelt.

Natürlich wird sie ihr Kostüm verändern, mit Witwenschleierhut oder papageienroter Federboa, eine Frau mit großer Geste und kleinem Augenzwinkern. Sie singt von Ladenmädchen, die die Männer lieben und enttäuscht werden, von braven Bürgern, die so gerne verrucht wären, von züchtigen Unzüchtigen, von den Vorzügen alter Männer, von den Vorzügen junger Männer, von dir und mir und auch von Bills Ballhaus mit dem Bilbaomond, wo noch die Liebe lohnt, „und es war

das Schönste, es war das Schönste, es war das Schönste, auf dieser Welt“. Zweieinhalb Stunden großes kleines Welttheater. Hingehen, hingehen, hingehen. clak

Heute und Sa., Schnoor-Orchesterboden, 20.30Uhr.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen