: Spritze im Kinderwagen: Nie wieder Roonstraße
■ Werden Kinder durch das Übernachtungshaus für Drogenabhängige in der Roonstraße gefährdet? Klönschnack diskutierte
Nur ein Dutzend Leute waren am Mittwochabend in das DRK-Haus in der Mathildenstraße gekommen, um über Elternängste vor Drogenabhängigen zu diskutieren. Seit die Sozialbehörde in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Kommunale Drogenpolitik“ in der Roonstraße ein Haus für Drogenabhängige eröffnet hat, schlagen in der Nachbarschaft die Wellen hoch. Viele Anwohner fürchten seither um die Gesundheit ihrer Kinder, die Sicherheit ihrer Autos und die Sauberkeit ihrer Vorgärten.
Von ihnen kam jedeoch nur einer ins DRK-Haus: Wenigstens ein „Opfer“ zur Darlegung der Pro-Argumente. Drei Monate hatte ein heroinabhängiger Dealer in einer Wohnung seines Hauses gewohnt. Während dieser Zeit gingen die Fixer dort ein und
aus, „warfen Müll in Hausflur und Vorgarten“. Einmal fand er sogar eine Spritze in seinem Kinderwagen.
„Ich habe Angst, daß mein Kind sich mit Aids infiziert. Ich fühlte mich in der eigenen Wohnung nicht mehr sicher, nachdem die Haustür der Dealer-Wohnung eingetreten worden war. Das kann man sich doch vorstellen, daß ich darüber nicht glücklich bin.“
Aber: „Wenn wir den Drogenabhängigen Unterkünfte verweigern, drängen wir sie in den Tod“, so Rolf Günther, Psychologe beim Drogenreferat des Senators für Bildung, Wissenschaft und Kunst. Eine Anwohnerin: „Die müssen doch irgendwo wohnen, und betreutes Wohnen ist doch ein guter Kompromiß.“ Angelika Koppelmeyer, Leiterin der
Kindertagesstätte in der Gleimstraße: „Im Viertel gibts wirklich noch andere Dinge, die stören. Damit finden wir uns auch ab, weil wir hier wohnen wollen. Wenn beispielweise eine Lehrerin ihren Hund direkt vor den Eingang der Kita kacken läßt.“ Der beunruhigte Vater lernt: Die Ängste sind die Ängste der Eltern und müssen deshalb in deren Köpfen bekämpft werden. Darin sind sich alle einig. Kinder verstehen, wenn ihnen erklärt wird, daß die Menschen, die an der Sielwallkreuzung stehen, eigentlich krank und bemitleidenswert sind. Sie verstehen auch, warum sie Spritzen nicht anfassen sollen - eben, weil sie davon krank werden. Genau so, wie von einem toten Tier, das sie im Sandkasten finden, von giftigen Früchten an Zierbüschen oder Gefahren im
Straßenverkehr.
Dem „Drogenhausgegner“ wurde empfohlen, mit den Heroinabhängigen zu sprechen,
sie vielleicht in der Roonstraße zu besuchen. Denn was fremd ist, macht Angst - genau wie Behinderte, Alte, Ausländer.
Das Problem wird sich entspannen, so Günther, wenn in mehreren Stadtteilen ein Wohnhaus für Heroinabhängige ist. Das hält er langfristig für wahrscheinlich, weil sich die Scene zunehmend über die Stadt verteilt. „Anstatt die zu isolieren, sollten Sie sich selbst isolieren, wenn Sie nicht mit Alten, Kranken, Behinderten zusammenleben wollen“, so eine Diskussionteilnehmerin. Klönschnack-Vorstand Ehrhard Heintze: „Sie tun so, als würden Sie auf einer Insel leben. Das ganze Leben besteht aus Menschen, die uns mehr oder weniger lieb sind.“ Alles wahr und richtig. Trotzdem will der Erfahrungsgeschädigte nie mehr durch die Roonstraße gehen. Eine Spritze im Kinderwagen hat ihm gereicht.
bea
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen