piwik no script img

SCHREIB MAL DEM SOZIALMINISTER BLÜM!

■ Nicht sehr sozial: Arbeit und Leben im Knast

Frühstückspause im knasteigenen Arbeitsbetrieb. Sieben Mann hocken am Tisch und kauen lustlos auf dem justizmäßigen Frühstück herum - wieder mal Schweinebauch auf dem Brot. Gerade hatte der „Grüne“ die Lohnabrechnung ausgegeben, ein Grund, über die jämmerliche Arbeitsentlohnung bei der deutschen Justiz zu diskutieren. Zum wievielten Male schon? Geändert hatte sich seit 40 Jahren nichts, heute aber hatte man, zufällig oder nicht, einen weiteren Sündenbock für das schofle Verhalten der Justiz gefunden, den „lieben“ Bundesminister für Arbeit und Soziales, den Kleinen mit der Nickelbrille.

Nach einigem Hin und Her kam Berthold auf den Punkt: „150 DM für einen ganzen Monat harter Arbeit! Und das in diesem reichen Lande, in dem der Kanzler schon vor Jahren die große Wende versprochen hatte. Man sollte, anstatt auf die Wende zu warten, lieber den Kanzler wenden. Wie soll man bloß mit diesem frischgewonnenen Reichtum beim Knastkaufmann fertig werden. Schreib mal dem Norbert Blüm, der ist doch dafür zuständig, oder nicht?“ Das war das Stichwort, aber wie schreibt man einem Minister, dem Blüm noch dazu? Was vor allen Dingen?

Das „wie“ blieb ungeklärt, das „was“ nicht, denn da hatte jeder etwas vorzubringen. Hören wir zu.

Heinz: Frag den Minister mal, ob er für 150 Eier überhaupt morgens aus dem Nest aufstehen würde?

Gerd: Schreib ihm, daß der Gefängnisdirektor mit 7.000 DM im Monat nach Hause geht, der verdient soviel („verdient“ er das überhaupt?) wie 60 Arbeiter in seinen Knastbetrieben!

7.000 DM, das hielten einige absolut nicht für möglich, dabei sind wir gleich mit drei „Chefs“ gesegnet, die, alles in allem, gute 15.000 DM im Monat abschleppen. Für was, fragt man sich.

Luigi, der Italiener, meinte: Du mußt dem Minister auch schreiben, daß es nach 40 Jahren Wirtschaftswunder in Deutschland immer noch nicht für eine kleine Krankenversicherung für Gefangene gereicht hat. Deutschland ist ärmer als Italien.

Herbert: Ob der Blüm auch weiß, daß wir im Knast jahrelang arbeiten, ohne jemals eine Rente dafür zu bekommen?

Das wußte der bestimmt nicht, sonst hätte er es längst abgestellt, oder?

Klaus: Noch was mußt du schreiben: Da hat der Bundesumweltminister Töpfer gerade vor der UNO in New York posaunt: „Die Ausbeutung der Menschen durch die Menschen ist für uns unterbunden...“ Hat der damit die Bundesrepublik Deutschland gemeint? Oder die Republik Tschad?

Na, langsam kam Stimmung auf, die Pause begann sich zu einem Tribunal für den Sozialminister zu gestalten (Zwischenruf: „Minister für Soziales, Landesregierung, Justiz, das sind doch alles soziale Asoziale“, was mit Beifall registriert wurde).

Berthold: Schreib dem Minister auch mal, daß wir nun von unserem Pfennigslohn auch noch bei Zahnersatz 40 Prozent selber bezahlen müssen. 40 Prozent Selbstbeteiligung bei den Zahnarztkosten! Ich habe gerade eine Rechnung über 127 DM bekommen, und zwar zahlbar innerhalb von 14 Tagen, die spinnen doch, oder...? Ob der Gesundheitsminister auch daran gedacht hat, als er seinen Medikamentensäckel zumachte? Sozialminister? Puh, mir kommt gleich das Kotzen!

Erni: Dem Blüm müßte man auch die Geschichte mit Hermanns unterschiedlichen Brillengläsern schreiben. Da lachen die Hühner, wenn es nicht so ernst wäre.

Er hatte recht mit seiner Meinung. Hermann hatte eine private Brille mit getönten und entspiegelten Gläsern, die er natürlich auch bei der Arbeit trug. Eines Tages ging ein Glas während der Arbeit kaputt. Kein Problem, dachte er. Arbeitsunfall, die werden das ersetzen. Von wegen! „Bei getönten Gläsern müssen Sie zuzahlen, 40 Prozent.“ Das konnte Hermann nicht einsehen. Fährt er seinen Mercedes kaputt, ersetzt die Versicherung ja auch keinen Volkswagen. So ging der Kampf weiter. Hin und her. Dann bot man ihm ein Normalglas für seine Brille an, also eins hell, eins getönt. Als alles nichts fruchtete, kam die - justiztypische Lösung: „Ei, dann lassen Sie sich doch eine ganz neue Brille, aber ohne getönte Gläser, auf Kosten der Justiz verschreiben.“ Im Ernst.

Dieter fuhr dazwischen: Die Geschichte mit dem A. mußt du dem auch schreiben, du weißt doch, der während der Frühstückspause im Betrieb vom Hocker fiel, wochenlang krank war und dafür keinen Pfennig erhielt, auch keinen Lohnausfall, obwohl sich der Unfall ja während der Arbeit ereignete.

Tenor: „Lohnausfall gibt es nur, wenn Sie außerhalb der Pause vom Hocker fallen, aus, Ende!“

Herbert hatte sein Lieblingsthema drauf: Dem Blüm mußt du auch schreiben, wie teuer hier die Preise beim Knastkaufmann sind. Da kostet ein Kilo Tomaten in der Haupterntezeit sage und schreibe fünf Mark und 100 Meter weiter, in der knasteigenen Gärtnerei 1,50 DM. Die aber verkaufen an Gefangene nicht.

Berthold: Noch was mußt du dem Sozialminister schreiben. Das wir nur 36 Stunden im Jahr Besuch von den Angehörigen haben dürfen, dafür aber 2.000 Stunden arbeiten müssen. Den Besuch bekommen wir, alles nur gegen bar, vom Lohn abgezogen, als „Fehlzeiten“. Ja, Herr Sozialminister, nicht sehr sozial, nicht wahr?

Gerhard: Ob der Blüm schon weiß, daß sogar die Knackis im russischen Straflager Perm 35 runde 250 Rubelchen im Monat verdienen, was nach heutigem Wechselkurs immerhin 750 DM ausmacht? Ob ihn das überhaupt interessiert?

Dieter: Schon 1940 wurden den Knackis und KZ-Häftlingen drei Reichsmark täglich gutgeschrieben. Heute, 40 Jahre später, sind es gerade sieben Mark, das glaubt kein Mensch! Dabei haben sich Kaffee und Tabak in dieser Zeit um 100 Prozent verteuert. Kaffee: In der Zeitung steht, daß die Kaffeepreise am Weltmarkt so tief wie 1969 sind, beim Kaufmann aber zahlen wir Preise, die schon fürs Jahr 2000 passend sind, die Inflationsrate eingerechnet. Schreib das dem Sozialminister!

Heiliger, man glaubt gar nicht, was man dem Sozialminister alles schreiben könnte.

Detlef: Das muß man dem Minister auch unbedingt schreiben, nämlich, daß die Gefängniswärter heute schon bis zu 35 Tage Urlaub haben, wir, die wir richtig arbeiten, aber nur 18. Sind wir schon wieder Untermenschen? Schreib dem Minister das, er weiß es bestimmt noch nicht. Woher auch?

Vielleicht sollte man dem Minister auch schreiben, daß wir, weil er uns kaum etwas für unsere Arbeit bezahlt, wetten müssen, klauen, mit Drogen handeln, Leihgeschäfte machen, Paketmarken verschieben oder Schnaps schmuggeln, um zu ein paar Mark Nebeneinnahmen zu kommen. Wie sonst soll man bei den Preisen über die Runden kommen? Oder, wie einer einwarf: Später, draußen, haste nix, da bleibt Dir doch gar nix anderes übrig als zu klauen und einbrechen zu gehen, um sich das wiederzuholen, worum sie uns im Knast jahrelang beschissen haben - um den gerechten Lohn für unsere Arbeit. Da ist was dran, wenn man sich die Rückfallquote anschaut.

Als ich einwandte, „der wird antworten, daß die leeren Kassen derzeit Verbesserungen nicht zulassen...“, fauchte Dieter dazwischen: Kein Geld, kein Geld, diesen Unsinn hören wir schon seit 1945! In der Zwischenzeit hat sich der Bundesetat von 50 auf 300 Milliarden DM versechsfacht, die Einkommen draußen sind von 300 DM monatlich auf 3.500 DM im Schnitt gestiegen! 1971 hatte ich im Knast 75 DM monatlich, das war Spitzenlohn, heute habe ich 150 DM. Im Jahre 1989! Für diese paar Mark bekomme ich beim Kaufmann kaum noch was. Die Briefmarken stehen heute bei einer DM, also schreibste kaum noch. Wer kann sich solchen Luxus noch leisten? Seit neuestem ziehen sie dir auch jede Stunde, die du nicht arbeitest, mit dem neuen IBM-Computer vom Lohn ab, egal, ob du zum Arzt gerufen wirst, Anhörung beim Gefängnisdirektor hast, Besuch mit deiner Familie machst, zur Verwaltung bestellt wirst, alles nur noch gegen Barzahlung! Das ist ja heute schlimmer wie beim alten Krupp. Da hatten die ArbeiterInnen auch nichts, weil der, clever, wie er war, den Lohn gleich wieder einsackte, für Miete, Lebensmittel, Hausbrand usw.

Nach 20 Minuten Diskussion zog Gerd Bilanz: Armes Deutschland, armer sozialer Rechtsstaat, der sich seine eigenen Gefangenen nicht leisten kann, der aber 2,5 Milliarden in Wackersdorf in den Sand setzen, der sieben Milliarden für den Schnellen Brüter verplempern oder 500 Millionen DM für das Abenteuer deutsche Anlagen Leasing verjubeln kann, alles auf Steuerzahlers Buckel. Wünsch dem Blüm ein gesegnetes Weihnachtsfest, wenn er sein Ministergehalt und seine Gratifikation von der Bank holt, während meine Kinder heulend in der kalten Wohnung hocken müssen. Vielleicht denkt er, wenn er in der Kirche hockt und fromme Lieder singt, auch mal an die Vergessenen in seinem Lande, anstatt teure Reisen nach Chile, Polen oder Südafrika zu machen, um dort auf die Tränendrüsen zu drücken.

Schreib ihm einen Glückwunsch zum 40.Jahrestag dieser Republik, die sich, im Gegensatz zur DDR, keine Amnestie für ihre Gefangenen leisten kann, sondern den Gesetzesvorschlag der Grünen in den Papierkorb schmeißt.

Wie schreibt man denn nun eigentlich einem derart sozialen Arbeits- und Gesundheitsminister einen Brief? Ich weiß es auch nicht.

Bernd Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen