: MIT TIEREN LEBEN
■ Ein Erfahrungsbericht von Felicitas Hoppe
Lieben Sie Tiere? Hunde, Meerschweinchen, Katzen? Schätzen Sie Kaninchen, Amseln, Drosseln, Finken? Würdigen Sie die Existenz von Sittichen, Hamstern und Goldfischen? Halten Sie Tiere? Pferde, Kühe, Bulldoggen, Krokodile? Leben Sie mit dem Tier? Mit dem Schwein, mit dem Schaf, mit der Springmaus? Mit den Motten und den Läusen? Wohnen Sie mit ihnen? Teilen Sie mit ihnen Bett und Tisch? Räumen Sie mit dem Schäufelchen den Kot in das Tütchen? Leeren Sie regelmäßig das Katzenklo in die Dachrinne? Und wie halten Sie's mit Ihren Nachbarn?
Ich persönlich habe zu diesem Thema nie meine Stimme erhoben. Ich habe meinen Nachbarn unter mir im dritten Stock nie gesagt, was ich von der Schäferhundhaltung in einer Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung halte. Das Tier stört mich auch nicht. Springt mich nur an in einem totenstillen Treppenhaus, das man nicht benutzt, sondern gehetzt durchquert, und wenn es unten bellt, dann lehne ich mich erleichtert zurück, Gott sei Dank, sage ich mir: die leben noch. Eine Tatsache, die ich zu schätzen weiß, da ich das untrügliche Gefühl habe, daß sich mein Nachbar zur Rechten (direkter Kücheneinblick) längst in ein Jenseits mir unbekannten Zuschnitts aufgemacht hat, auch wenn er sein Gesicht noch auf die Scheibe geheftet hält. (Wahrscheinlich hat er seine Seele gegen einen geringen Mieterlaß an den Hauswart verhökert, der, arbeitslos und badelatschig, einen Sommer lang versuchte, durch Anlegen eines Goldfischbiotops im Hinterhof Leben zu schaffen!)
Ein schöner, warmer Sommer. Wo aber kommen die vielen Fliegen her? Ich versuchte, sie durch Zigarettenrauch zu erledigen, statt dessen vermehrten sie sich hartnäckig, das also sind sie: die widerlich resistenten Fliegen Neuköllns! Zu sehen ist hier ja nie jemand oder etwas. Dafür ein bestialischer Gestank im Hausflur, vor allem vor der Hundetür. Auch hörte ich das Tier seit einiger Zeit unausgesetzt bellen: Komm ich an Hundes Tür vorbei / Und sei es auch nachts um halb drei / Da hebt ein Stöhnen an, ein Jaulen / Da tut man regelrecht sich graulen / Ich jedenfalls, gestehe ich / Ließe von keinem Hund mich wecken / Um diese Zeit, da ließe ich / Das Hundetier verrecken! / Solche und ähnlich primitive Stegreifverse schossen mir durch den Kopf, wenn ich morgens um halb drei an der Tür vorbeiging und die Hündin laut bellend und jaulend sich von innen gegen die Tür werfen und kratzen hörte.
Da ich mir immer laute Mitmieter gewünscht habe, - ich hasse Ruhe und Frieden! - beschloß ich, mich nicht zu rühren, leben und leben lassen, sozusagen, und wälzte mich nachts unruhig hin und her, weil es unter mir jaulte und quietschte, zeterte und zerrte, jammerte und keuchte, daß ich begann, an meinem gesunden Schlaf zu zweifeln. Ich weigerte mich, den logischen Zusammenhang zwischen dem Gestank und den Fliegen herzustellen, wunderte mich schließlich aber, daß außer mir niemand sich bedroht zu fühlen schien, hielt alles für Sinnestäuschung und starrte mißtrauisch beim Durchqueren des Hinterhofes zum dritten Stock hinauf. Bis eines Mittags der Wind die häßlich orangenen Gardinen blähte, jemand mußte das Fenster geöffnet haben, und die Hündin, die Vorderpfoten auf das Fensterbrett gestemmt, die Ohren marode abgeklappt, seltsam lethargisch in den Hof hinabstarrte. Ich versuchte, sie zu fixieren, starrte zurück und hatte das erste Mal in meinem Leben das deutliche Gefühl, daß auch Hunde Suizidgedanken hegen könnten, eine Tatsache, die im Biologieunterricht in der Regel unterschlagen wird.
Wer möchte schon den Briefkastenschlitz in der Tür eines Nachbarn lüften? Ich tat es trotzdem und hatte gleich die Hundepfote bettelnd mitten im Gesicht stecken. Ich ließ den Briefschlitzdeckel panisch fallen, sprang zurück und zitterte auch gleich ein bißchen, dachte jedenfalls nicht daran zu klingeln! In dieser Wohnung war jedenfalls kein menschliches Wesen mehr ansässig, so viel war sicher. Der schmächtige blonde Jüngling, Herrchen, der sich mit der Erscheinung der hübschen Hündin ein paar Monate lang geschmückt hatte, war verschwunden, ebenso Frauchen, die man im Edekaladen Hundegebäck hatte kaufen sehen. Nur kein voreiliges Mitleid, sagte ich mir, die werden schon wiederkommen, sind sicher weg (verlängertes Wochenende) und kommen sicher bald wieder, und was geht's also mich an, was geht mich das an.
Natürlich kamen sie nie wieder, ich ahnte es ja bereits, und obwohl ich mich nicht im geringsten verantwortlich fühlte, zuständig noch weniger, klingelte ich die anderen Wohnungen der stinkenden Etage ab, stellte fest, daß auch der faschistische Exbulle verreist sein mußte, ein Mann, der aussah, als habe er in einem Fall von Autoaggression sich selbst alle Vorderzähne herausgeschlagen. (Schade: der einzige, der wirklich weiß, wie man in diesem Haus Ruhe und Ordnung wiederherzustellen hat, gewiß hätte er etwas unternommen!) Es tat also niemand etwas, auch nicht der blonde Edelpunk, ein Zugereister, der, Klammer in der Nase, aus der Wohnung trat, was des einen Scheiße, sei noch lange nicht des anderen Anliegen, erklärte er, und ich verzichtete darauf, in ihm einen Verbündeten zu suchen.
Ein zweiter Blick durch den Schlitz, ich wagte ihn nach einer ruhigen, lautlosen Nacht, die mich mit eigenartigem Mißtrauen erfüllt hatte, bestätigte mein Vorgefühl. Der Kot stand bereits einen halben Meter hoch, und die Hündin bewegte sich schattenhaft im Flur auf und ab, als sei sie in Trance, und schien meine Anwesenheit kaum zu bemerken. Auch ich wäre in diese Wohnung nicht freiwillig zurückgekehrt. Tätig werden, etwas unternehmen, zur Tat schreiten, irgend jemanden anrufen, ach, soll die Hündin doch in ihrem Kot krepieren. Trotzdem wies ich den Hauswart, der wieder einmal mit den Algen in seinem Biotop beschäftigt war, dezent darauf hin, daß im dritten Stock im Hinterhaus irgend etwas „faul“ sein müsse. Ja ja, sagte er, kratzte sich am Kopf, das wisse er schon. So, sagte ich, Sie wissen es also, na schön, und jetzt? Na, der Junge wär‘ halt 'ne Weile weg, auf Arbeit oder so, käme schon noch wieder, hätte jetzt mal grad‘ keine Zeit, wär‘ halt so'ne Sache, würde sich aber alles finden, würde die Hunde schon noch holen. Plural? Die Hunde? Na ja, die hätte doch sechs Junge gehabt (Ich erinnerte mich schwitzend an die Nuancen der Quietschtöne zur Nacht), die Hündin, na ja, so eben, und fünfe hat er ja schon rausgeholt, jetzt hat sie nur noch eins, nu ja, deshalb heult sie immer so, eben immer, wenn einer kommt und die Jungen wegnimmt, nich‘, die Hundemütter sind ja auch Mütter (verlegenes Grinsen), und die mag das eben nicht, wenn sie die wegholen, deshalb heult sie. So, und wann kommt er denn? Na ja, wie gesagt, er habe das alles schon arrangiert, ja vielleicht am Wochenende, aha, also am Wochenende. Fein, und wer füttert die Viecher? Füttern? Na ja, die anderen Mieter, die tun sich schon ein bißchen kümmern, werfen manchmal was durch den Schlitz, so'ne Scheibe Wurst oder 'ne Scheibe Käse oder ein Salatblatt oder Essensreste eben. Na prima, sage ich, das ist ja eine optimale Versorgung. Und keifend näherte sich plötzlich des Hauswarts Weib (Gartenhacke in der Hand, ich schlucke), groß und breit. Hör mal Mann, fährt sie ihn an, was haste da zu reden, es ist uns nicht erlaubt, Informationen über Mieter an andere Mieter weiterzugeben, daß das mal klar ist. Ein Volk von schweigenden Zeugen. Schön. Ich will nicht in die Privatsphäre meiner Mitmieter eindringen, aber was, bitte sehr, mache ich mit den Fliegen in meiner Wohnung? Machen Sie die Fenster zu und warten Sie, bis der Winter kommt.
Der Gedanke, einen Winter über diesem Flur zu verbringen, der so lang wie der meine ist, bedeckt mit zugefrorener Hundescheiße und den Überresten einer Schäferhündin bereitete mir eine weitere schlaflose Nacht, aber man ist ja kein Unmensch, und so wartete ich das Wochenende ab. Es kam der schmächtige blonde Jüngling und erledigte mit einem Handkantenschlag das letzte der sechs Hündchen, atemberaubender Tumult in der Wohnung unter mir, ein letztes Aufbegehren, dann war's still, und ich sah ihn verschämt und eilig mit dem Tierchen durch den Hinterhof verschwinden. Na, sagte ich mir, nun sind sie alle weg, und irgendwann wird jemand kommen und die Wohnung wieder in Ordnung bringen. Tatsächlich blieb es in den nächsten Tagen still, aber noch einmal trieb mich mein Mißtrauen an den Schlitz: die Hündin hockte am Ende des Flurs, seufzte leise, aber ihre Pfote bekam ich nicht mehr zu spüren.
In der darauffolgenden Nacht begehrte sie noch einmal auf. Ich stieg aus meinem Bett, holte einen Topf alter, steifgewordener Spaghettis aus dem Kühlschrank, nahm eine Flasche Wasser und stieg hinunter. Ich öffnete den Schlitz und schüttete alles hinein. Sie trank und fraß alles, man hörte es deutlich. Ich holte mehr Wasser. Am nächsten Morgen rief ich den Tierschutzverein an. Ja ja, so was ist keine Seltenheit, aber rein in die Wohnung und raus das Tier, so einfach geht das nicht. Da müssen Sie schon Anzeige erstatten. Anzeige? Klar, ohne Anzeige geht das nicht, da machen wir ja einen Hausfriedensbruch, ohne die Polizei können wir da nicht rein. Anzeige können Sie gern erstatten. Aber wegen Tierquälerei? Gar nicht so einfach. Kann man nicht so leicht nachweisen, nee, erstatten Sie doch wegen Ruhestörung!
Zwei Tage und zwei Nächte fütterte ich entschlußlos die Hündin durch den Schlitz. Das kommt davon, wenn man diese Bullenphobie hat. In der dritten Nacht rächte sich die gute Pflege. Die Hündin, zu neuen Kräften gekommen, randalierte ganz fürchterlich. Ich greife zum Telefon. Tatsächlich kommen zehn Minuten später zwei Polizisten. Mißtrauisch starren sie zum dritten Stock hinauf, wollen sich dem Gestank lieber nicht aussetzen und bleiben im Hinterhof stehen. Glauben Sie nicht, daß ich auch nur einen Schritt in die Wohnung mache, sagt der eine, ich habe nämlich Angst vor Hunden! Außerdem stellte sich heraus, daß die beiden nicht zuständig sind. Sie verweisen mich an den zuständigen Blockwart, aber der geht schon nachmittags um halb vier, also vorher anrufen und jetzt Gute Nacht.
Drei Tage später wird die Wohnung auf mein Betreiben hin zwangsgeöffnet. Zum Glück bin ich nicht zu Hause. Sicher hätte ich den Anblick des Hundetiers nicht ertragen. Vier Wochen später treffe ich die Hündin im Treppenhaus wieder. Ich staune. Der Typ, an dessen Leine sie jetzt läuft, ist der Erstbesitzer der Hündin und hat sie mal aus Freundlichkeit an den Schmächtigen weitergegeben, weil der sich so in sie verschossen hatte. Jetzt hat er sie aus dem Tierheim geholt, vorm Einschläfern gerettet, behauptet er stolz. Und wieso hast du sie nicht früher da oben rausgeholt? Mensch, sagt er, konnt‘ ich doch nicht, und neigt den Kopf und flüstert: Konnt‘ ich doch nicht sagen, daß die mir gehört. Hab‘ doch nie Hundesteuer berappt. Hätte doch Ärger gegeben! Die Hündin stellt die Ohren auf. Und jetzt, sag‘ ich, wie fühlt sie sich? Na ja, bißchen scheu geworden, wa‘, aber das wird wieder, hat 'ne gute Natur, 'ne gesunde Veranlagung. Er selbst ist begeisterter Tierhalter. Hat noch zwei Katzen. Verstehen sich alle prächtig. Teilen Tisch und Bett, alle vier. Er kauft das Essen. Weißte, mit den Leuten hier komm‘ ich nicht so gut klar, da hab‘ ich mich an die Tiere gehalten.
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