: Ein asketischer Säufer
■ Aki Kaurismäkis Filme haben bei unseren Berlinale-Beobachterinnen bisher am besten gefallen
Er raucht und säuft. Genau wie die Protagonisten in seinen Filmen. Auch auf dem Podium im Delphi-Kino zündet sich Aki Kaurismäki eine Zigarette nach der anderen an. Ulrich Gregors labyrinthisch-selbstreferierender Fragestil wirkt diesmal völlig deplaziert. Der Regisseur boykottiert das gewohnte Ritual, auf Gregors nüchterne Fragen zur Produktion und Filmästhetik, die die Diskussion in Schwung bringen sollen, ernsthafte Antworten zu geben. Kaurismäkis Filme erklären sich selbst.
Weshalb es in dem Mädchen aus der Streichholzfabrik nur so wenige Dialoge gäbe, will Gregor wissen. „It's a question of pollution“, nuschelt Kaurismäki ins Mikrophon. Dialoge verschmutzen die Umwelt, und da er die Natur sehr liebe, wolle er so wenig wie möglich zu deren Zerstörung beitragen. Nach welchen Kriterien er die Musik ausgewählt habe? „Ich habe sie gekauft!“ - „Welche Reaktionen gibt es in Finnland auf Ihre Filme?“ - „Stille!“ - Wieviele Filme drehen sie pro Jahr?“ - „Das hängt von meiner geistigen Verfassung ab!“ „Warum machen sie Filme?“ „Weil ich für einen richtigen Beruf nichts tauge.“
Das Publikum lacht, stellt keine weiteren Fragen mehr und Ullrich Gregor entläßt sichtbar erleichtert den störischen Gesprächspartner.
Alles, was Kaurismäki der Welt mitzuteilen hat, steckt in seinen Filmen. Da gibt es keine überflüssige Geste, kein Wort zuviel. Das Mädchen aus der Streichholzfabrik sagt keine zehn vollständigen Sätze im ganzen Film.
Im Kino International in Ostberlin ist Kaurismäki dann doch etwas redseliger, was wohl in erstern Linie mit dem „Adlershofer Bretterknaller“ (klarer Schnaps) zusammenhängt, den er sich nebenbei in die Orangeade kippt. Nach der Vorführung von Leningrad Cowboys go America, einem verrückten Roadmovie über die Reise einer Leningrader Band quer durch die USA, erzählt er dem interessiertem DDR -Publikum im Foyer allerlei Nonsense über die Dreharbeiten, die Schauspieler und sich selbst.
Er ist total betrunken. Einen agressiven Kritiker, dem der Film mißfallen hat, beschimpft er lauthals: „Was ist das für eine komische Geräuschkulisse da hinten. Kann dem nicht irgendjemand den Strom abstellen?“ Kaurismäki liefert dem Image vom exaltierten Künstler kräftig Nahrung.
Doch hinter der Fassade schnodderiger Respektlosigkeit schimmert bei genauem Hinhören die verletzliche Persönlichkeit des Regisseurs durch. Leningrad Cowboys sei gar nicht so lustig gemeint. „Es ist das Tagebuch meiner Traurigkeit“. Er versuche, mit seinen Filmen mit der Welt, die ihn ängstigt, in Kontakt zu treten. Wenn er seine Träume dann verfilme, entstünden nur leider meistens Horrorstreifen. Er weiß selbst wohl am besten, daß das nicht stimmt. In seinen Tragödien schwingt immer die (unfreiwillige) Komik der Verzweifelten mit.
Nach Schatten im Paradies und Ariel hat er mit dem Mädchen aus der Zündholzfabrik seine Helsinki-Triologie abgeschlossen. Gerade dreht er an einem neuen Film: Contract Killer soll er heißen und erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der sich einen Killer mietet. Kaurismäki legt ein mörderisches Arbeitstempo vor. Zwei Filme pro Jahr sind keine Seltenheit und an jedem arbeitet er sich, auch pysisch, komplett ab. In seinen Habitus erinnert Kaurismäki dabei an Rainer Werner Faßbinder. Der hat in 13 exzessiven Jahren 20 Spielfilme realisiert. Faßbinder starb mit 37 Jahren. Aki Kaurismäki ist 33 Jahre alt, raucht, säuft, und dreht dabei einzigartige Filme.
Ute Thon
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