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Das Mekka d der Psychos

■ Na gut, das kalifornische Esalen ist für weltläufige Esoterik-Kenner und USA-Fahrer längst out. Aber durch das in mitteleuropäischen Therapeutenkreisen wirksame Trägheitsgesetz, glänzen auch heute noch bei Erwähnung der Westcoast-Esotericana die Augen der heimischen Psycho-Freaks.

Von

MICKY REMANN

as 1962 gegründete Esalen-Institut ist doch immer für Überraschungen gut. Zum Beispiel für jene, daß, wie die taz -Redakteurin mir Ungläubigem versichert, manche Menschen noch immer nicht wüßten, daß es sich hierbei um das mit heißen Schwefelquellen durchblubberte Mekka des altehrwürdigen Human Potential Movement handelt, denn so hieß die Chose, bevor sie im Sog des New Age verschwand. Und ich dachte, dieser Pansen sei zur Genüge durchgekaut und verdaut, aber da muß ich mich geirrt haben. Auch mein Hinweis, ich sei seit Jahren nicht mehr dort gewesen, konnte sie nicht davon abbringen, mich mit einem Porträt des Esalenischen Wesens zu beauftragen, das doch viel mit der Kunst des Genesens zu tun hat, und das (nicht nur des Reimes willen) schon seit über 25 Jahren, an einer erdrutschgefährdeten, salbeibewachsenen Steilküste im kalifornischen Big Sur, wo schon, was noch heute bei einigen die Gesundung enorm zu beflügeln scheint, uralte Indianer, örtliche Rauhbeine, Bohemiens, Henry Miller, Joan Baez und Fritz „Gestalttherapie“ Perls gelehrt, gebadet und gewirkt haben.

Kurz, was Baden-Baden in der Belle Epoque für die europäische Aristokratie war, das wurde Esalen für die Seelenerkundler der amerikanischen Sixties. Aus dieser Zeit hält sich auch der notorische Nimbus von Orgie, Sex und psychedelischem High-Sassa, welchen das Esalen-Institut in wohlweislicher Einschätzung der Realitäten nur soweit dementiert, wie er das Ansehen einer öffentlichen Lehrstätte gefährden könnte, und ihn - immer noch den Nimbus gleichzeitig soweit perpetuiert, wie er die Kraft des heimlichen Mythos zu nähren und zu stärken vermag.

Nach diesem schwierigen Satz zur Abwechslung ein einfacher: Heute treffen sich in Esalen sehr viele Deutsche und Schweizer, um sich endlich all das zu verraten, was sie sich in Europa jahrhundertelang verschwiegen haben. An den psychologischen Seminaren der Universitäten haben sie zuvor alles gelernt, was das Gewissen ihnen abverlangt hat. In Esalen wollen sie nun all das aufholen, was ihrer Seele dabei entgangen ist. Gesprächsstoff also, der nicht in Gefahr steht, urplötzlich auszugehen. Zumal man im prüde -hypochondrischen Amerika nicht den Segen unterschätzen möge, den es bedeutet, wenn völlig vernünftige Nackte auf sonnenbeschienenen Massagetischen sich angeregt über Gott und den Kosmos unterhalten können.

Der ganze Umlauf soll allerdings möglichst rasch über die Bühne gehen, denn letztendlich trachten Esalen-Besucher danach, ihre neugewonnenen Synthesen aus Seele und Gewissen daheim zum Beruf machen zu können, und zwar nach Möglichkeit zu einem, der das sanfte Gute und das erkenntnisreiche Heile in unseren fragmentierten Körpern und Geistern aufs holistischste wieder verquickt.

Die Preise der in Esalen angebotenen Workshops und Seminare tragen ein übriges zur Notwendigkeit und Beschleunigung der oben beschriebenen Dynamik bei. Sprich: Die größte therapeutische Wirkung der Kurse in Gestalt-, transpersonaler- und sonstiger Esalenischer Therapie scheint darin zu bestehen, daß aus den TeilnehmerInnen über kurz oder lang TherapeutInnen werden. Das ist zwar einerseits bemerkenswert, spricht aber andererseits nicht gegen das Konzept.

ngeachtet aller inzwischen zur Genüge ausgewalzter Klischees über das Esalen-Institut spielt sich dort über dem malerisch brausenden, auch von migrierenden Grauwalen gern besuchten Pazifik vielerlei Denkwürdiges ab, von den klassischen Hyperventilations-Arien in den Workshops von Stan „Geburtskanal“ Grof, über Terence McKennas Seminaren über magische Pilze und psychedelische Zeit („Was Kant für Königsberg, ist McKenna für Kalifornien“), bis hin zu gemeinsamen Brain-&-Body-Stormings mit Avantgarde -Glasnostikern aus der Sowjetunion.

Apropos. Während die hiesige Zeit- und Ideologiekritik noch emsig damit beschäftigt war, die vakant gewordenen Attitüden des diskreditierten Antikommunismus mit einem nicht minder ofenbänkischen und arroganten Anti-New-Ageismus zu ersetzen, ohne dieses Erbe zu durchschauen, hatten die Esalen-Leute längst begonnen, systemsprengende Kontakte ins ehemalige Reich des Bösen zu knüpfen. Die Zusammenhänge zwischen den dunklen Flecken der Seele und den dunklen Flecken des Weltgeschehens zu erkennen, und daraufhin sogar praktisch initiativ zu werden, das erforderte damals, Anfang der 80er Jahre, wesentlich mehr politische Courage als die Teilnahme an einem Reinkarnationswochenende heute.

Der eigens in San Francisco gegründete Ableger „Esalen Institute Soviet American Exchange Program“ hat mehr zur Wende im Supermachtklima beigetragen, als nach den geringen, dafür um so unkonventionelleren Mitteln zu erwarten stand, mit denen man dabei zu Werke ging. Ein lohnendes historisches Studienobjekt, das wohl erst dann seine Anerkennung erfahren wird, wenn das Exchange Program wegen mangelnder Spenden eingegangen ist.

ennoch kann das renommierte Stammhaus Esalen Institute nur unter den ganz Zuspätgekommenen - die das Leben strafen möge - als Geheimziel gelten. Im Gegensatz etwa zum kleineren und wilderen Pendant, der Ojai Foundation bei Santa Barbara. Sie liegt drei Autostunden weiter südlich nahe dem auch als „kalifornische Trans-Esotericana“ bekannten Highway 101, der für eine Grand Tour der Seele so unerläßlich ist wie die Champs-Elysees für Paris.

Wer sich nun, immer der Nase nach, vom dritten Auge geführt, Ojai nähert, den lassen die rumpeligen Feldwege, die Tipis und Jurten auf rauhem, von Klapperschlangen und Gift-Efeu mitbewohntem Indianerland bald ahnen, daß man auf der Reise nach innen durchaus auch mit Blasen an den Füßen rechnen muß. Jedem das Seine, jeder das Ihre. Denn: Einzig der Weg, den du nicht kennst, ist kein Umweg. Oder aber: Der Tao, der nie deine Besorgnis erregt, ist nicht der wahre Tao. Gegründet von der Kulturanthropologin Joan Halifax, wird bei der Ojai Foundation seit elf Jahren eine kommunitäre Mixtur aus Schamanismus und Buddhismus ausgekocht und praktiziert, die dem Trend zur mittelständischen Service-Agentur des Neuen Zeitalters erfolgreich widerstanden und die Tür zum Unwägbaren und zum Experiment in jeder Hinsicht offen gelassen hat.

Ich erinnere mich an Zusammenkünfte und Gratwanderungen, bei denen es zwischen und mit Harley Swiftdear (Indianer -Renegat), dem seligen Ronald D. Laing (Psycho-Freibeuter), Rupert Sheldrake (morphogenetischer Biologe), Jill Purce (Obertonsängerin), Elie Hien (afrikanischer Medizinmann), Adele Getty (Göttinen-Ritualistin), tibetischen Lamas und anderen Schwerkalibern zu sehr schönen heißen Ohren kam. Besonders, als dann noch in sengender Hitze ganz in der Nähe ein Buschbrand aufloderte. Die anwesenden Magier zögerten nicht lange und warfen sich gleich mit all ihren multispirituellen Künsten ins Zeug, um die dramatisch qualmende Gefahr zu bannen. Allenthalben wurden Federn und Fetische in Anschlag gebracht, Trommeln gerührt und Mantras gemurmelt.

Weil zu allem Überfluß auch noch die örtliche Feuerwehr mit ihren Wasserhubschraubern anrückte, werden wir nie erfahren, wessen Medizin den Brand wirklich löschte und wer nur so tat als ob. Inmitten der apokalyptischen Nervosität jenes Moments traf ich Ronnie Laing. Er blickte mißgelaunt drein. Ich fragte ihn, was er denn von dem Schicksal hielte, hier und jetzt ein Opfer der Flammen zu werden. „Nein, ich möchte nicht sterben,“ sinnierte er, „ich wäre jetzt lieber in Schottland.“

Die spirituelle Spreng- und Innovationskraft in Ojai hat natürlich auch ihren Preis. Er besteht in den wenig komfortablen sanitären Einrichtungen, die zarter besaitete Besucher oft voller Nostalgie an die auch unter hautkosmetischen Aspekten viel vorteilhafteren Schwefelbäder in Esalen denken lassen. Meistens jedoch läßt sich dergestalt heimgesuchten Kandidaten klarmachen, daß die Schattentänze mit den Dämonen des Luxus eine bedeutsame Sprosse auf der Leiter der inneren Findung symbolisieren, die zu versäumen ein kaum wieder gutzumachendes initiatorisches Manko bedeuten würde. Denn auch hier gilt, was ein mystischer Strolch auf die Tempelwand eines Klosters in Burma gesprüht hat: „Wie wichtig eine Lektion fürs Leben war, merkt das Ego erst, wenn es sie verpaßt hat.“

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