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„Bei uns im Osten ist das so...“

■ Alternative Freizeit-„Bauarbeiter“ aus Ost- und West-Berlin versuchen am Prenzlauer Berg zum Abriß verurteilte Häuser zu retten / Preisfrage: Wer wird später hier wohnen - und zu welcher Miete...

„Wir bauen auch“, sagte der Kleine und schleppt stolz ein Stück Holz zu dem Feuer auf der weiten sandigen Fläche zwischen zwei alten Häuschen des historischen Scheunenviertels in Ost-Berlin. Hier hat die Kahlschlagsanierung schon zugeschlagen. Demolierte Badewannen und Reste von Kachelöfen säumen die Stadtwüste. Die Flanke eines Seitenflügels ist weit aufgerissen und erlaubt einen fast obszönen Blick in die Flure mit ihren verschieden gestrichenen Türen. Das Haus auf der anderen Seite blättert grau vor sich hin. „Was der Krieg verschonte, überlebt im Sozialismus nicht!“ stellt eine Parole in Rot nüchtern fest. Unmittelbar dahinter erhebt sich, hoch und glitzernd wie ein Wesen aus einer fremden Welt, der Fernsehturm am Alex.

„Warum fangen die nicht bei uns in der Mulack 31 an? Da regnet's durchs Dach“, meint die Mutter des Kleinen. „Die“ sind ein paar Dutzend Bewohner, unterstützt von ehemaligen Hausbesetzern aus Schöneberg und Kreuzberg, Architekten und Mieterberatern, die den Rest des Scheunenviertels winterfest machen. Im November war Abrißstop, weniger aus Einsicht, sondern weil die Bauarbeiter aus Thüringen die Kräne stehenließen und sich in die Heimat aufmachten.

In der Mulackstraße klopft eine dick verpackte Gestalt mit Handschuhen Steine. Den Zementschubkarren neben ihm ziert ein Anarcho-„A“. Voll Staunen erkennt die Reporterin Wulf Eichstädt, Ehemann der Kreuzberger Baustadträtin. Wenn der windschiefe Schuppen abgerissen ist, soll hier ein Bauhof entstehen. Einige Häuser weiter sammeln sich „Bauarbeiter“ um ein Zelt und eine Gulaschkanone. „Das Zelt haben wir vom Wachregiment Friedrich Engels bekommen, das gehört zur NVA. Die leiden darunter, daß sie die gleichen Ärmelstreifen haben wie die Stasi, damit kommen sie in keine Kneipe rein“, erzählt Motte, Initiator der Aktion, der im Viertel wohnt. Ost und West tauschen Erfahrungen aus. „Bei uns im Osten ist das so: Die Häuser gehören der KWV (Kommunale Wohnungsverwaltung, d.Red), und einen neuen Wasserhahn oder Lichtschalter kriegst du nur, wenn du einen Auftrag von der KWV hast. Und das hier ist zum Abriß freigegeben, also stellt die KWV keine Aufträge aus.“ Und wenn man das privat bezahle? fragt der Westler erstaunt. „Das System funktioniert hier anders“ bemüht sich der Ostler zu erklären. „Das gibt es hier nicht, privat. Höchstens, du findest einen, der das illegal macht, gegen Westgeld.“

Ein weiterer Ostler wohnt in der Alten Schönhauser um die Ecke. „Das ist auch ein Abrißhaus. Da sollte ich raus in einen Neubau. Aber das will ich nicht. Ich habe hier vier Zimmer, meine Einbaumöbel und das Bad selber eingebaut.“ Aber dort ist ja nun eh Baustopp. „Wo ist Motte?“ fragte jemand. „Man sollte ihm ein Walkie-Talkie mitgeben“ schlägt ein anderer vor, als Motte erscheint. „Ach, da ist ja die Frau von der taz!“ ruft er. Er solle mir von Arne ausrichten, ich soll mal in der taz aufrufen, die Bürgerinitiativen brauchen Computer. Gespendet und IBM -kompatibel. Arne ist der Sprecher aller Bürgerinitiativen am Runden Tisch und Chef des DDR-Mieterbundes.

Weiter hinten steht Hartmut Engel von der DeGeWo aus West -Berlin, der keine Steine klopft. „Das ist doch eine Schande, dieses historische Ensemble abzureißen, das ist noch von 1850, so was gibt's gar nicht mehr bei uns“, erklärt er. „Die haben ja noch nicht mal Bauholz, die Dächer neu zu decken.“ Was er hier mache? Er wolle sich das mal angucken, meint er. Auf Nachfrage rückt er damit heraus, daß die DeGeWo bereits mit der KWV verhandelt. In der Mulack 37 nageln ein paar Männer Plastikfolie vor die leeren Fensterhöhlen. Der Schwamm ist in den Balken und im Dach. Ein paar Häuser weiter wurden richtige Fenster eingebaut. Sie blicken auf einen Hof wie in Neapel: Wäsche hängt an den Fenstern, zwischen grünen Beeten steht ein Tisch, Gewächse ranken sich an den verglasten Treppenaufgängen zwischen bröseligem Stuck hoch. „Du bist von der taz? Dann kriegst du auch einen Kaffee“, sagt einer der Studenten, die die morsche Kellerdecke herausbrechen.

Ein Westler mit Kamera betritt den Hof, gefolgt von einer Kleingruppe. „Das erinnert mich an New York“, tönt es zu uns hinüber. Es folgt das Kamerateam der Schöneberger Medienwerkstatt. „Im Sommer strömen hier ganze Touristenhorden durch“, erzählt einer der Studenten. Nun erscheint eine alte Frau mit Kohleeimer. Eindeutig von hier. Sie habe gehört, die Straße wird nun doch nicht abgerissen? „Nein, wird sie nicht“, freut sich der Student. „Wir können da doch nichts machen“, sagte sie. „Doch! Jetzt können wir was machen!“ Der Student ist in seinem Element. „Na gut, aber als Einzelner kann man nichts machen“, gesteht die alte Frau schließlich zu. Weniger aus Überzeugung, mehr um dem „tüchtigen jungen Mann“ einen Gefallen zu tun. Wie lange sie hier wohne? fragt die Reporterin und löst damit eine Lawine aus. Seit 1953, jetzt sei sie bald siebzig Jahre, sie zahle 50 Mark in der Steinstraße, ohne Bad, „das ist doch vielzuviel! Meine Tochter hat eine Neubauwohnung in Marzahn. Die zahlt nur 65 Mark.“ Nach Marzahn wolle sie aber nicht. Ihre Tocher kümmere sich auch um sie. Aber der eine Sohn sei im Westen, da wisse sie gar nicht, wo der wohne... „Demnächst zahlt sie 500 Mark“, schätzt einer der Studenten.

Am Abend ist Fete im „Cafe im Eimer“. Anne, Westberliner Hausbesetzerin der ersten Stunde, betrachtet ihre schwarzfleckigen Hände. Sie hat Fensterscheiben eingeglast, aus West-Produktion. Anne sucht auch eine Wohnung. Aber hier? „Wenn hier Westler hinziehen, mit ihrer ganzen Kohle, dann gibt das einen Aufstand“, meint eine Frau. Motte kommt, er hat so gegen halb zehn die letzten Plakate geklebt. Er kann sich eher mit dem Gedanken anfreunden, Westler als Nachbarn zu haben. Ihn beschäftigt etwas anderes. „Ich habe gehört, hier soll jemand von der DeGeWo gewesen sein.“ Was die hier wollten?

Eva Schweitzer

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