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„Die Partei ist mein Leben...“

SEW-Parteitag: Zwei AltkommunistInnen an der Parteibasis und ihre Sicht der Dinge  ■ I N T E R V I E W S

Die übergroße Mehrheit der rund 900 SEW-Delegierten gestern in der Hasenheide waren nicht älter als 45, politisiert durch Elternhäuser oder Studentenbewegung. Sie bestimmten auch die Diskussion und formulierten die Anträge. Die Traditionskommmunisten, hart geworden in der Nazizeit und dem kalten Krieg, schwiegen. Fassungslos verfolgten sie den Parteitagsverlauf, der zum ersten Mal in der Geschichte der KPD-SED-SEW nicht in ritualisierten Bahnen verlief.

Wilhelm F. ist 81 Jahre. Ende des Krieges wurde er wegen angeblicher kommunistischer „Umtriebe“ an die Ostfront geschickt. In die Partei trat er nach Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft ein. Er wurde vom Bezirk Wedding zum Delegierten gewählt, trat aber wenige Tage vor dem Parteitag aus der SEW aus.

taz: Wieso sind Sie trotzdem hier?

Wilhelm F.: Meine Frau hat gesagt, ich muß hingehen, und sie ist auch hier. Aber jetzt werde ich wohl gehen.

Warum sind Sie nach 34 Jahren Parteimitgliedschaft ausgerechnet jetzt ausgetreten?

Das kann ich so einfach nicht sagen, ich bin kein Held, wissen Sie, jetzt kommt ein neuer Nationalismus hoch, und ich habe Angst vor einem neuen Faschismus. Ich will nicht wieder Angst vor Verfolgung haben. Die Jungen wissen nicht, was das heißt. Die haben ihren Klassenstandpunkt auf der Universität gelernt. Ich will sie nicht schlecht machen, aber sie sprechen anders als wir. Jetzt ist keine Ordnung mehr da, und ich vermisse die Solidarität. Jetzt macht sich Denunziantentum breit, das geht ja bis zur Sippenhaft. Das ist nicht mehr meine Partei - meine Partei behalte ich im Herzen.

Hildegard Wunder ist siebzig Jahre alt und Delegierte des Bezirks Steglitz. Seit über 40 Jahren ist sie Mitglied der Kommunistischen Partei und hat immer als ehrenamtliche Funktionärin in Betriebs-, Frauen- und Wohngruppen gearbeitet.

taz: Auf diesem Sonderparteitag werden entweder über neue Organisationsstrukturen oder über die Auflösung der SEW entschieden. Wie geht es Ihnen hier?

Hildegard W.: Ich bin an und für sich erschüttert, was hier geschieht. Auf keinen Fall bin ich für die Auflösung der Partei. Eine kommunistische Partei muß es weiter in West -Berlin geben, man muß doch dafür kämpfen, daß die Menschen hier wirklich erfahren, was passiert. Sie müssen aufgeklärt werden.

Die meisten Delegierten scheinen mir nicht älter als 40 Jahre zu sein. Je jünger die Delegierten sind, desto radikaler drängen sie auf eine kommunistische Politik außerhalb der Partei. Ist das auch ein Generationskonflikt?

Ich möchte sagen, daß sich der Gegner sehr in die Köpfe der Jungen reingeschmuggelt hat. Mit Gegner meine ich die CDU und die Antikommunisten. Zum Teil verstehe ich das auch nicht. Vielleicht haben wir es nicht geschafft, unsere Politik gut zu vermitteln. Vielleicht ist aber die Delegiertenversammlung auch nicht repräsentativ. In meiner Wohngruppe gibt es mehr Alte als Junge.

Sehen Sie in der Diskussion hier nicht auch eine Erneuerungschance für kommunistische Parteipolitik?

Ja, das ist vielleicht so. Es stimmt, und ich habe es am eigenen Leib erfahren, wenn man Kritik an der Partei übte, dann wurde man schnell beiseite geschoben.

Aber Sie sind doch auch eine alte Genossin?

Ja. Aber trotzdem will ich darüber nicht reden. Ich bin auch nicht böse darüber. Meiner Partei kann ich nicht böse sein, die lieb‘ ich. Die Partei ist mein Leben, und wenn die Partei aufgelöst wird, dann ist ein Stück meines Lebens kaputt. Wer soll denn sonst noch dafür kämpfen, daß es unseren Enkelkindern einmal besser geht. Aber trotzdem, ich bleibe Kommunistin.

Interviews: Anita Kugler

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