: „Das nächste Mal zu den feinen Leuten“
■ Anwohner sind „entsetzt“ über geplantes Zwischenlager für Giftmüll in der Reinickendorfer Flottenstraße / Schreyer-Anhänger wägen lieber ab: Ist das Schrottwerk von Wirtschaftssenator Mitzscherling nicht noch schlimmer?
„Vorsicht Lebensgefahr“ warnt das Blechschild am Gittertor vor dem Grundstück in der Reinickendorfer Flottenstraße. Noch vor zwei Wochen war die Warnung überholt. Weil das verseuchte Fabrikgelände der „Berliner Kupferraffinerie“ im letzten Jahr für zehn Millionen Mark gesäubert wurde, war die Lebensgefahr eigentlich behoben. Jetzt kann das gelbschwarze Warnschild trotzdem dranbleiben. Um den Müllstopp auf der DDR-Deponie Vorketzin aufzufangen, will AL -Umweltsenatorin Schreyer hier eine Halle bauen, in der 1.000 bis 2.000 Tonnen Sondermüll zwischengelagert werden können. „Jetzt kommt wieder so ein Giftzeug“, schimpft eine Anwohnerin. „Nun hat man es gerade entseucht, da wird es schon wieder verseucht.“
„Entsetzt“ war Brigitte Bindrich, als sie von Schreyers Plänen hörte. „Reinickendorf-Ost wird doch immer schon benachteiligt“, klagt die Familie, die wenige Meter von dem künftigen Giftlager entfernt eine Eigentumswohnung hat. Zahlreiche Industriebetriebe arbeiten jetzt schon hier; dazu kommt der Fluglärm. Und überdies werde ein Obdachlosenheim in der Kopenhagener Straße gebaut - dort, wo die Kinder auf dem Schulweg vorbei müßten.
„Da kommen doch bestimmt Gase und Dämpfe raus“, sorgt sich auch eine Frau in dem benachbarten Mietshaus. Thomas Schwilling, Referent der Umweltsenatorin, versucht diese Ängste zu zerstreuen: „Leichtflüchtige Stoffe, die ausgasen, werden wahrscheinlich sowieso verbrannt und nicht hier gelagert.“ Auch dank der winterlichen Kälte sei die Gasgefahr gering. Container mit Schlämmen aus der Farb- und Galvanikindustrie sind es vor allem, die auf etwa 3.000 Quadratmetern in Regelfächern verstaut werden sollen, bis westdeutsche Anlagen die Industrieabfälle aufnehmen.
Heute will der Referent Angebote verschiedener Firmen einholen, damit in zwei Wochen die ersten Hallenteile stehen. SPD-Wirtschaftssenator Mitzscherling ist zwar, wie sein Sprecher Heinze sagt, „überhaupt nicht erbaut“ von Schreyers Plänen, weil er auf dem Gelände gerne wieder Industrie ansiedeln möchte; aber durchsetzen wird sich der Wirtschaftssenator damit aller Voraussicht nach nicht. Alternativvorschläge des SPD-Politikers - die Spandauer Rieselfelder und das Kohlelager in Kladow - hätten „alle Beteiligten“ als „indiskutabel“ abgelehnt, sagt Schwilling.
Mitzscherlings Sprecher sieht es als Aufgabe der Umweltsenatorin an, bessere Flächen zu finden: „Dann muß man eben auch mal 20 Bäume abholzen.“ Doch Schwilling holzt zurück: „Will der Wirtschaftssenator in Kauf nehmen, daß Betriebe stillgelegt werden, weil ein Abfallager fehlt?“, fragt er. Das Spandauer Schrottwerk Koch & Lange, das laut Wirtschaftsverwaltung gerne in die Flottenstraße umziehen würde, bekäme von der Umweltverwaltung jedenfalls keine Betriebsgenehmigung für einen Neubau, wenn hier kein Müllager gebaut werden könnte.
Die Umweltsenatorin hat Glück: Dank Mitzscherlings Attacken hat sie nun das umweltschützerische Protestpotential in Reinickendorf-Ost auf ihrer Seite. Ellen Skirba, Mitglied bei den „BürgerInnen gegen das Luftkreuz“ und ebenfalls Anwohnerin im Stegeweg, ist von Schreyers Plänen zwar „nicht begeistert“. Doch wenn die Aktivistin Mitzscherlings Schrottwerk dagegen abwägt, dann schrumpft Schreyers Müllager zum „kleineren Übel“. „Aber das nächsten Mal“, beschreibt Skirbas Ehemann die Grenzen seiner revolutionären Geduld, „darf das mal nach Zehlendorf, zu den feinen Leuten“.
hmt
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