: Übersiedler in Doppelzimmern hinter Gittern
Notaufnahme in Bremen Nord belegt kurzfristig die leerstehende Jugendarrestanstalt / Ortsamtsleiter: „Absolut menschenunwürdig“ ■ Betten in
Hindenburgstraße 32. Der Gebäudekomplex im Herzen Burglesums leuchtet ziegelrot in der Sonne. Bis zum Frühjahr letzten Jahres war diese Adresse für Jugendliche das bloß-nicht -dahin-Haus: Die Jugendarrestanstalt. Seitdem steht das Gebäude leer. Ein Bremer Investor will mit Zustimmung von Beirat und Sanierungsausschuß die „Immobilie“ dem Einkaufszentrum im Ortskern „zuführen“: Mit Millionenaufwand sollen aus Gefängnis Wohnungen werden.
Am Freitag hat es der Senat kurzerhand zu einer Dependence
einem Raum Foto: Sabine Heddinga
des überquellenden Notaufnahmelagers „Schleuse“ erklärt: 35 ÜbersiedlerInnen zogen in Hausmeisterwohnung und Betsaal, den zivilen und gitterlosen Teil der seelenlosen Arrestanstalt. „Das ist im höchsten Maße unmenschlich. Übersiedeln ist doch keine strafbare Handlung“, Burglesums Ortsamtsleiter Kück bebt spürbar vor Zorn. „Das ist und bleibt ein Gefängnis. Die sanitären Anlagen reichen nicht aus. Es gab noch nicht einmal Kochgelegenheiten.“
Mittlerweile ist Montag mittag.
Für die meisten der kurzzeitigen GefängnisbewohnerInnen sind Plätze in Übergangslagern gefunden worden: In der ehemaligen Kindergeldstelle am Osterdeich etwa, aber auch in zweckentfremdeten Turnhallen. Die Pärchen packen ihre Siebensachen. Sie hatten sich an diesem ersten Wochenende im Knast mit Feldbetten und Transistorradio in die Einzelzellen zurückgezogen, hatten alten Teppichboden aus dem Gefängniskeller organisiert, Vorhänge vor die Gitter gezogen, hatten furchterregende Schlösser entfernt, mit improvisierten Haken ihr Reich von innen verriegelbar gemacht. Vereinzelte Liebesmale signalisieren, daß auch in der Zeit zwischen Heimatverlassen-Übersiedeln-Notaufnahme -Überganslager-und-Eingliederung manchmal vier Wände nötig sind.
Die alleinstehenden Männer im Betsaal beteuern: „Wenn man uns Material gibt, gestalten wir hier einiges um.“ Auf die Frage nach ihren Gefühlen zum Leben im Knastgebäude sagt nicht nur eine junge Frau: „Eigentlich geht's ganz gut. Die Heizung läuft ja auch wieder.“ Die war nämlich Freitag abend ausgefallen, die Temperaturen in den dicken Gemäuern flugs auf acht Grad gesunken. Die (öffentlich kundgetane) Stimmung auch.
Konsequenz: Knasttourismus. JournalistInnen und Privatpersonen trieb die Neugier. Selbst aus
Cuxhaven kamen am Sonntag die Leute angereist, liefen durch sämtliche Räume des weitläufigen Gebäudes. Boten zum Teil leerstehende Zimmer als Ausweich quartiere an. Almuth Stoess, Geschäftsführerin vom ASB -Bremen Nord und damit zuständig für die notaufnehmende „Schleuse“ und deren „Überlaufventil“ in der Arrestanstalt, schließt die Zellen ab: „Das hat die Hetzkampagne in der
Presse bewirkt. Jetzt werden nur noch Hausmeisterwohnung und Betsaal belegt.“ Sie legt den Platz für die Kochplatten in der Küche fest. Führt ein Kamerateam durchs Haus. „Trotz Aufnahmestopp sitzen schon wieder 40 Neuankömmlinge in unserem Cafe in der Peenemünder Straße. Sollen wir die Leute auf der Straße stehen lassen?“ Familien mit Kindern werde sie natürlich nicht hierher schic
ken. Das sei moralisch selbstverständlich nicht zu verantworten: „Außerdem könnten die sich hier leicht verlaufen.“ Im ASB-Cafe um die Ecke wird unterdessen der Mittagstisch gedeckt. Verpflegung gratis: Dreimal täglich. Hier erhalten sie auch Informationen zur Arbeits- und Wohnungssuche.
Birgitt Rambalski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen