: WER DA NICHT MITMALT
■ Durchgefallene HdK-MeisterschülerInnen machen eine Protestausstellung
Freitag, 9.2.1990: Meisterschülerprüfung in der Hochschule der Künste, Zweigstelle am Kleistpark. 15 KandidatInnen des Fachbereichs 6 präsentieren ihre Arbeiten. Sechs Professoren (unter anderem die Herren Diehl, Appelt, Herrfurth und Schoenholtz) sowie acht VertreterInnen der Studentenschaft und des Mittelbaus, aus den verschiedenen Fachbereichen der Kunsthochschule rekrutiert, begutachten auf einem Rundgang das Dargebotene. Fünf bis zehn Minuten gönnt die Kommission den einzelnen Arbeitsproben. Gesprochen wird selten, die Zeit drängt, denn es gilt nach den Anstrengungen noch in Konklave zu gehen. Nach der geheimen Abstimmung trifft es plötzlich und unerwartet vier der fünfzehn AspirantInnen: duchgefallen.
An diesem Tag ist die Durchfallquote außergewöhnlich hoch. Und die Ausgemeisterten wollen das vernichtende Urteil nicht auf sich sitzen lassen. Sie schließen sich zusammen und organisieren in der hochschuleigenen, studentisch -selbstverwalteten Galerie eine Ausstellung.
Freitag, 16.2.1990: Mitten im Herzen der HdK stellt der Salon des refuses die ausjurierten Arbeiten der Öffentlichkeit vor. Die Vernissage ist gut besucht. Unter den BesucherInnen fallen die wenigen Professoren auf. Im übrigen wird heftig über Kunst und Hochschulpolitik diskutiert.
Drei Bilder der Amerikanerin Anne Wesson Rockwell springen zuerst ins Auge. Bonbonfarbene Frauenkörper posieren und zerfallen vor schrillen Hintergründen. Die Themen sind ernst, die Farben poppig - um das spannungsvolle Dazwischen müssen sich die BetrachterInnen selbst kümmern.
In gebührendem Abstand irritiert ein Diptychon von Volkhard Kempter. Zeichen und Farbflächen, auf zwei nebeneinander hängende Leinwände aufgetragen, konstruieren vordergründig ein Geflecht von Beziehungen. Durch den Stoff schimmernde Lichtkegel zerleuchten die Illusion. Die Tafelbilder beginnen sich aufzulösen, die Leinwand wird zur durchlässigen Membran für den Blick auf ein unbestimmtes Dahinter.
Michaela Seligers 27teilige Arbeit öffnet visuelle und textuelle Räume. Laserkopien, lehnende Glasscheiben, auf dem Boden liegende Schieferstücke verdichten sich zu einer lesbaren Fläche. Farbstrukturen, Textfetzen und in Wachs gebettete Zeichen laden zur Lektüre ein. Das System der Gegenständlichkeiten ist vorgegeben, permutiert und konkretisiert wird beim Betrachten.
„729 Würfel“ heißt eine der ausgestellten Arbeiten von Bruno Schelp. 36 bunte Holzkuben, mit der Hand bemalt, maschinell mit Fräsungen versehen, liegen aufgehäuft im Raum. Das scheinbare Durcheinander läßt bei genauem Hinsehen Strukturen erahnen: Die Farben trennen, die Schnittwunden können verbinden. Am Abend der Eröffnung war es erlaubt, dem eigenen Bedürfnis nach Ordnung im Chaos oder nach Chaos in der Ordnung spielerisch nachzuspüren.
So verschieden die ausgestellten Arbeiten auf den ersten Blick auch sind, jede beansprucht auf ihre Weise die Aufmerksamkeit und das unmittelbare Mitspiel der BetrachterInnen. Kunst, die nicht festgemalt und eindeutig ist, sondern Möglichkeiten anbietet, scheint am Kleistpark nicht gefragt.
Die Suche nach den Ursachen dieser Ausgrenzung führt über die zur Diskussion stehenden Kunstwerke direkt in den HdK -Filz. Auffällig ist, daß die Professoren der Durchgefallenen nicht in der Prüfungskommission vertreten waren. Professor Kaufmann hat sich trotz intensiver Betreuung seiner SchülerInnen angesichts der bevorstehenden Pensionierung diesmal aus dem Trubel herausgehalten. Die ehemalige Geccelli-Klasse muß sich seit zwei Jahren auf wechselnde Gastdozenten einstellen. Georg Baselitz protestierte gegen die Berufung des DDR-Künstlers Volker Stelzmann an den Fachbereich 1 und verließ die Akademie. Seitdem wird seine Klasse, zur Zufriedenheit der StudentInnen, von einem Hochschulassistenten geleitet.
Obwohl sich die HdK bemüht zeigte, die entstandenen Lücken zu füllen, konnte man sich bisher auf keine(n) der Vorsprechenden einigen. Es liegt nahe, zu vermuten, daß dies mit einer Zusage an die Studierenden während des Hochschulstreiks zusammenhängt, wonach die freien Stellen mit Frauen besetzt werden sollen.
Doch nicht genug, daß Stellen jahrelang unbesetzt bleiben. Mit dem Kollegium ist auch die Vielfalt künstlerischer Richtungen auf ein Minimum geschrumpft. Eine bestimmte Kunstauffassung hat sich langsam durchgesetzt: Viele der neuen Machthaber wollen es realistisch und figürlich, am besten mit einem Schuß Gesellschaftskritik. Wer da nicht mitmalt, fällt durch. Wem noch dazu die Protektion der Kommission verlorengegangen ist, eignet sich vorzüglich für Bauernopfer.
Unter Berufung auf die schwammige Prüfungsordnung - es gibt keine formalen Vorschriften - und die Kriterienlosigkeit der Postmoderne gerät die Beurteilung von Kunst in den Augen mancher HdK-Professoren ausdrücklich und ausschließlich zur Geschmacksfrage. StudentInnen und Kunstwerke, die aus dem Rahmen fallen, können dementsprechend mühelos aus dem Weg geräumt werden. Nebenbei sind diese kleinen Machtdemonstrationen nützlich. Sie stärken und unterstreichen die Maßstäbe und Kunstauffassungen der Meister. Nach außen hin läßt sich außerdem die hohe Durchfallquote als Beweis für die Strenge des Meisterschüler -Prüfungsverfahrens und das hohe Niveau der Kunstakademie anführen.
Michaela Lechner
Wer sich selbst davon überzeugen will, wie an der HdK Berlin Kunst und Politik gemacht werden, kann sich bis zum 2. März im „Salon des refuses“, Grunewaldstr. 2-4, informieren. Mo -Fr: 12-20 Uhr, Sa: 11-14 Uhr.
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