: Der neue Trend: Kleinere, aber hochmoderne Streitkräfte
■ Heeresinspekteur Generalleutnant Henning von Ondarza über die Auswirkungen der Wiener Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa auf die Struktur des Heeres
Frage: Die Heeresstruktur 2000 spricht von einer Verstärkung der Feuerkraft und Sperrfähigkeit, also der Verteidigungsfähigkeit. Welche Maßnahmen sind hier eingeleitet?
Henning von Ondarza: Neue, intelligente und vor allem fernverlegbare Minensysteme werden es in Zukunft noch mehr als bisher ermöglichen, die Elemente der Taktik „Feuer“ und „Bewegung“ mit dem Element „Sperren“ zu ergänzen. Wir haben die Vorhaben und Entwicklungen auf diesem Gebiet in einem Konzept mit dem Namen „Sperrsystem 2000“ zusammengefaßt. Hier liegt ein Schwerpunkt der Ausrüstungs- und Entwicklungsplanung des Heeres.
Organisatorisch wird das daran deutlich, daß wir einen Teil der Brigaden in der neuen Struktur mit zusätzlichen Pionierkräften ausstatten und diesen Brigaden somit eine größere Kapazität für Sperr-Aufgaben geben werden. Was die Stärkung der Feuerkraft betrifft, bringt die neue Struktur zunächst einmal mehr Rohre nach vorn. Auch hier werden wir der Brigade als dem zentralen Träger des Gefechts der verbundenen Waffen zusätzliche Kapazität geben. Die Zahl der Panzerhaubitzen wird von jetzt 18 auf 24 erhöht.
Eine neue Dimension in der Qualität erhält das Element Feuer allerdings erst mit der Entwicklung und Einführung von Aufklärungs- und Ortungssystemen sowie neuer Munitionsarten. Größere Reichweite und gesteigerte punktgenaue Wirkung im Ziel werden dazu führen, den Wirkungs-Horizont des Heeres in die Tiefe des Angreifers zu erweitern. Damit wird es möglich, nicht nur die vorn angreifenden, sondern auch nachfolgenden Kräfte in der Tiefe gleichzeitig zu bekämpfen.
Ein viel diskutiertes, auch in der Heeresstruktur 2000 angesprochenes Thema, das wohl auch bei einem Erfolg der VKSE-Verhandlungen aktuell bleibt, ist die Luftbeweglichkeit von Großverbänden. Ist dies finanziell noch realisierbar?
Bevor ich auf die Luftbeweglichkeit eingehe, will ich das Stichwort VKSE-Verhandlungen in Wien kurz aufgreifen: Ich will auch bei dieser Gelegenheit betonen, daß ich die Entwicklungen im Verhältnis zwischen Ost und West hin zu einem militärischen Gleichgewicht mit gleichen Obergrenzen auf niedrigerem Niveau ausdrücklich begrüße. Abrüstung ist das Gebot unserer Zeit. Die neue Struktur des Heeres ist daher so ausgelegt, daß sie mögliche Ergebnisse von VKSE I berücksichtigt und für weitere Entwicklung nach VKSE II offenbleibt.
Was sich jedoch auf beiden Seiten abzeichnet, ist nicht die Rückführung auf vor-technologisches Niveau. Der Trend geht eindeutig hin zu zahlenmäßig reduzierten hochmodern ausgerüsteten Streitkräften.
Wenn von den drei operativen Elementen „Kräfte“, „Raum“ und „Zeit“ die Kräfte reduziert werden, der Raum aber unverändert bleibt, gewinnt der Faktor „Zeit“ zwangsläufig an Bedeutung. Hier liegt der Schlüssel einmal beim weiteren Ausbau der Aufklärungskapazität und den Verifikationsmaßnahmen, die mehr Vorbereitungszeit für den Verteidiger bringen kann, aber auch wesentlich in der Erhöhung der Beweglichkeit der eigenen Kräfte. Hierzu muß die dritte Dimension genutzt werden. Sie bietet die größten Entwicklungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet. Diesen Weg nicht zu gehen, wäre falsch.
Wenn für eine optimale Nutzung der bereits jetzt vorhandenen Möglichkeiten auf diesem Gebiet die finanziellen Mittel nicht ausreichen, muß zumindest der Einstieg mit dem, was vorhanden ist, gefunden werden. Dies tun wir mit der neuen Struktur. Wir fassen die vorhandenen Luftlandekräfte mit Lufttransportkapazität, ergänzt um Panzerabwehrhubschrauber, zu luftbeweglichen Großverbänden zusammen. Diese Verbände will ich dann weiterentwickeln zur Befähigung des selbständig geführten Gefechts; das heißt, hier müssen zum Beispiel Pionier- und Artillerieorganisationselemente eingegliedert werden. Die Elemente müssen konzeptionell und dann industriell entwickelt werden. Die Finanzierbarkeit ist später von Fall zu Fall zu prüfen.
Ein VKSE-Abschluß im nächsten Jahr könnte auch Auswirkungen auf die Struktur des Heeres haben. Man rechnet mit einer Reduzierung der Fähigkeit zur raumdeckenden Verteidigung. Wie wäre dem - unter Aufrechterhaltung der Vorneverteidigung - zu begegnen?
Daß die neue Struktur des Heeres flexibel im Hinblick auf Ergebnisse in Wien ist, habe ich bereits erwähnt. Es liegt allerdings auf der Hand, daß mit reduzierten Kräften, und damit ist insbesondere nach einem erfolgreichen Abschluß von VKSE II zu rechnen, die Verteidigung des unverändert gebliebenen Raumes ein neues Konzept erfordert.
Was als Basis bleiben wird, ist die Forderung, einem möglichen Angreifer ein tiefes Eindringen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verwehren. Der Auftrag des Heeres, in der Lage zu sein, den entscheidenden Beitrag zur Vorneverteidigung zu leisten, bleibt daher unverändert bestehen.
Dies werden deutsche Streitkräfte auch in Zukunft nicht allein leisten können. Das geht nur im Schulterschluß mit unseren Verbündeten.
Die grundlegenden Parameter können allerdings schon jetzt genannt werden: Ich habe bereits gesagt, daß weniger Kräfte auf unveränderter Breite höhere Beweglichkeit erfordern. Ein Angriff des Warschauer Paktes mit überlegenen Kräften auf gesamter Breite wird nicht mehr möglich sein, sondern nur noch entlang weniger Achsen als heute. Dennoch hat der potentielle Angreifer den Vorteil der Wahl der Zeit und des Schwerpunktes. Die Fähigkeit zu beweglicher Reaktion muß daher ergänzt werden um eine exakte weitreichende Aufklärung, um eine Überraschung soweit als möglich auszuschalten. Dort, wo sich der Angreifer seinen Schwerpunkt bildet, muß der Verteidiger schnell seine Kräfte konzentrieren, also verlegen können. Die gepanzerten Kampftruppen werden auch in Zukunft den Kern des Heeres bilden. Nur sie haben die Stoßkraft, Durchbrüche zu verhindern und verlorenes Gelände wiederzugewinnen.
Die für die Beschaffung verfügbaren Mittel reichen nicht aus und verlangen eine Priorisierung des Bedarf.
Was die Priorisierung bei den Beschaffungsvorhaben, die sich bei zunehmend restriktiveren Finanzmitteln verwirklichen lassen, angeht, habe ich die Schwerpunkte eindeutig festgelegt. Diese liegen bei Aufklärung, Führung, Elektronischem Kampf, indirektem Feuer, Sperren und Luftbeweglichkeit sowie dem Kern des Heeres, den gepanzerten Kampftruppen.
Noch wichtiger ist mir jedoch die Sicherstellung der Finanzierung von Entwicklungsprogrammen, die uns die Option für eine moderne Ausrüstung auf den genannten Gebieten für den Zeitraum ab Mitte der neunziger Jahre offenhalten. Ich begrüße es daher ausdrücklich, daß es gelungen ist, im Haushalt 1990 hier einen deutlichen Schwerpunkt zu setzen.
Das stark gekürzte Interview ist der einschlägigen Zeitschrift 'Wehrtechnik‘, Nr. 12/1989 entnommen.
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