„Erst mal abwarten und weiterarbeiten“

Im VEB Spinnereimaschinenbetrieb des Textilmaschinenkombinats Textima geht die Angst vor Entlassungen und der Übernahme durch ausländische Investoren um / Notfalls im Westen putzen / Provisorischer Betriebsrat sucht Aktivisten  ■  Aus Karl-Marx-Stadt M.Rediske

Es kann ja nur besser werden - warten wir's also ab. Der Reparaturschlosser Dietmar Scheufler (51) läßt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen, er ist ein geduldiger Mensch. Aber wenn ihn in diesen Tagen und Wochen etwas aufregt, dann diese Stimmung unter seinen 3.500 Kollegen: Man wartet ab auf die anderen, auf die neuen Politiker, auf die Wiedervereinigung...

„Es ist schwer, Leute zu finden, die selber etwas tun wollen.“ Scheufler, der seit dreißig Jahren im Karl-Marx -Städter Stammbetrieb des Textilmaschinen-(„Textima„ -)Kombinats arbeitet, hat im November eine Initiative zur Wahl eines Betriebsrates gestartet. Mit mäßigem Erfolg. Eine Umfrage unter den 3.500 Werktätigen des Spinnereimaschinenwerks ergab zwar eine Zweidrittelmehrheit für eine solche Interessenvertretung - aber für den „provisorischen Betriebsrat“, der jetzt eine Betriebsvereinbarung über ein ständiges Mitbestimmungsgremium und dessen Wahlen vorbereitet, haben sich gerade 13 MitarbeiterInnen gemeldet.

In den Werkshallen hinter dem Südbahnhof der Industriestadt, die wohl bald wieder Chemnitz heißen wird, herrscht weniger Resignation denn Unsicherheit: Zerfällt das Kombinat? Zwei der 31 Betriebe - ein Nähmaschinen- und ein Strickmaschinenwerk - wollen sich angeblich selbständig machen. Sie meinen, für ausländisches Kapital alleine attraktiver zu sein als mit den anderen VEBs im Schlepptau. Wie viele Entlassungen im Stammbetrieb stehen an? Die Kombinatsverwaltung soll ja schon von 300 auf 50 Mitarbeiter schrumpfen, nachdem niemand mehr etwas von der alten Kommandowirtschaft mitsamt ihrer Kontrollbürokratie wissen will. Und was ist, wenn ein Westbetrieb uns aufkauft? Überall wird heiß diskutiert, per Kofferradio werden die Beratungen am Runden Tisch in Berlin verfolgt - aber „es fehlt die Aktivität“, wie Dietmar Scheufler klagt. Und so greifen er und die anderen provisorischen Betriebsräte gern auf die Zusammenarbeit mit der alten, aber „gewendeten“ Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) zurück. Hier - im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben - hat sie sich nicht etwa aufgelöst, sondern will weiter mitreden und -entscheiden. BGL-Vorsitzende Steffi Aßmann, eine junge Ingenieurin mit hennafarbenem Kurzhaarschnitt, ist im Februar letzten Jahres in einem Interview mit der FDGB -Zeitung 'Tribüne‘ noch rechtzeitig auf Distanz zu ihrer eigenen Partei gegangen: Die BGL sei keineswegs Anhängsel der SED.

Ein Satz, der ihr damals „Ärger eingebracht hat“, heute aber das Weitermachen ermöglicht. Und sie hat noch ein Plus gegenüber Betriebsrat Scheufler: Sie ist freigestellt, er dagegen immer noch auf die Großzügigkeit seines Meisters in der Reparaturabteilung für Werkzeugmaschinen angewiesen. „Wir sind aber keine Konkurrenten“, versichert der Betriebsrat, während die BGL-Vorsitzende nickt, „wir wollen beide fast das gleiche - auf zwei Beinen stehen die Arbeiter doch fester.“

Steffi Aßmann denkt voraus: Sie ist sicher, daß es bald ein Betriebsrätegesetz geben wird. Und der Konflikt kann durchaus noch kommen: Niemand hat bisher eine Ahnung, wie die Mitbestimmungsrechte gegenüber der Betriebsleitung künftig zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat verteilt werden.

Wenn im VEB Spinnereimaschinenwerk über die Zukunft debattiert wird, ist ein Unbekannter immer präsent: die Firma Zinser. Jeder weiß, daß der große bundesdeutsche Konkurrent auf dem Markt für Ringspinnmaschinen in diesen Tagen mit einer Delegation aufkreuzen wird. Vorerst nur, um sich das Werk anzusehen.

Daß aber die Textima Fremdkapital braucht, meint schließlich nicht nur Kombinatsdirektor Rudi Rosenkranz (siehe Interview), das sieht auch jeder in der Belegschaft. Andererseits herrscht Skepsis, ob ein Joint -venture überhaupt realistisch ist, denn „wir haben ja nichts zu bieten“, sagt Steffi Aßmann.

Nicht, daß die Kollegen resigniert hätten und die Hände in den Schoß legten - sie arbeiten wie immer, so gut es geht eben. Beim Gang durch die Hallen und Höfe fühlt sich der Besucher in die fünfziger Jahre zurückversetzt. „Das letzte richtige Gebäude, abgesehen mal von der einen oder anderen einfachen Halle, wurde hier vor 25 Jahren gebaut“, erinnert sich Betriebsrat Scheufler, der mit 30 Jahren Betriebszugehörigkeit beinahe selber schon zum Inventar gehört.

Das Hauptproblem ist hier, wie fast überall, die unstete Zulieferung. Bei der effektiven 25-Stunden-Woche sind die Kollegen hier zwar noch nicht angelangt, aber in der Montage der Spinnereimaschinenfabrik klagen die Kollegen, daß sie nicht selten zu Hilfsarbeiten in anderen Abteilungen herangezogen werden, wenn der Nachschub mal wieder stockt. Und oft fehlen kleine Teile, „mit denen eigentlich nichts schiefgehen sollte“, erzählt Montageschlosser Günter Drechsel (49), der beim Zusammenbau der Antriebsteile nicht auf die österreichischen Motoren, statt dessen aber auf die einfachen Blechteile für die Belüftung warten muß: „So verbringe ich meine Zeit, wenn ich dann zehnmal an die Maschine ran muß - statt einmal, wenn alle Teile gleichzeitig da wären.“ Der Kollege Elektriker neben ihm stimmt zu: „Dann könnten wir die doppelte Anzahl von Antrieben montieren.“

Und der 34jährige Fräser Andreas Wusterbart in der Nachbarhalle mußte gerade „mal wieder Druck machen“, weil man ihm statt fünzig nur drei Getriebekästen zum Fräsen geschickt hat. „Das heißt jedesmal neu fünf Stunden die Maschine einstellen, wenn wieder Nachschub kommt.“ Aber er nimmt es leicht auf seine breiten Schultern: „Wenn sie den Laden hier dichtmachen - ist doch egal, dann geh‘ ich eben rüber.“

Auch wenn es bisher keine Verhandlungen mit ausländischen Firmen gibt: Das Schreckgespenst, aufgekauft und zum Teilefertiger degradiert zu werden, geht im Betrieb um. Nicht nur Forschung und Entwicklung würden dann wegfallen, der Betrieb wäre zum Billiglohnproduzenten degradiert. Auch die Montageabteilungen gäbe es dann nicht mehr. Kranführerin Christine Kerezsi, deren erwachsene Kinder auch ans Übersiedeln denken, fällt dazu nur ein, sie könne dann ja im Westen putzen gehen: „Das wird doch da gesucht“, sagt sie mit zaghaftem Lächeln.