: „Stoltenberg gefährdet auch Gorbatschow“
Olaf Feldmann ist verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion / Er wirft dem Verteidigungsminister, der die Nato bis an die polnische Staatsgrenze ausdehnen will, „unverantwortliche“ Äußerungen vor ■ I N T E R V I E W
taz: Keine Nato-Ausdehnung nach Osten und keine Stationierung von Bundeswehrsoldaten auf dem Ex-DDR -Territorium eines vereinten Deutschlands - ist das die Position der Bundesregierung, die Außenminister Genscher in Moskau und Ottawa vorgetragen hat?
Feldmann: Ich gehe davon aus, daß der Außenminister immer die Position der Bundesregierung vertritt und auch hier auf der Linie liegt.
Überrascht Sie die Äußerung Stoltenbergs, entgegen Genschers Auffassung Bundeswehrsoldaten östlich der Elbe stationieren zu wollen?
Ja.
Aber er hat doch bereits auf der „Wehrkundetagung“ am 3. Februar in München öffentlich geäußert, daß lediglich Struktur und Umfang einer deutschen Armee auf dem Ex -Territorium noch offen seien.
Das ist aber so nicht nach außen gedrungen. Man kann von einem Kabinettsmitglied Stoltenberg auch erwarten, daß er mitdenkt, die sich entwickelnde Situation gedanklich mitbegleitet und nicht alte Positionen ständig wiederholt. Insgesamt haben sich die Zeichen von militärischer Konfrontation hin zu politischer und ökonomischer Kooperation verändert. Es darf nicht darum gehen, die Demarkationslinie der Konfrontation nach vorne zu verschieben, sondern wir wollen die Konfrontation auflösen. Das muß auch ein Verteidigungsminister mitvollziehen. Die Position, die Genscher geäußert hat, ist ja nicht neu, die ist ja auch schon seit Wochen im Gespräch, und daß die Westalliierten das mitgetragen haben in Ottawa, war ja ein großer Durchbruch. Das war eine Flankierung der Bemühungen auch des Kanzlers, die deutsche Einheit herzustellen. Deshalb ist es kontraproduktiv, was das Verteidigungsministerium macht.
Steht Stoltenberg mit seiner Meinung allein, oder ist sie repräsentativ zumindest für Teile der CDU/CSU?
Ich habe das über die Medien so wahrgenommen, daß hier der Verteidigungsminister Stoltenberg spricht.
Egon Bahr von der SPD hat das Genscher-Modell als nicht realistisch bezeichnet, weil von einer Weiterexistenz der Blöcke nach Herstellung der deutschen Einheit nicht auszugehen sei.
Normalerweise sind Genschers Vorstellungen immer sehr realistisch. Der eine oder andere nimmt das nicht sofort wahr, wird aber später dann belehrt. Wie sich das jetzige Territorium der DDR dann später darstellt, ob mit militärischem Sonderstatus, ob mit kollektiver Sicherheitsgarantie zum Beispiel der 35 KSZE-Staaten, ob es eine Entmilitiarisierung gibt - darüber wird noch sorgfältig nachzudenken sein. Wichtig ist, daß wir keine einseitigen Vorteile aus diesen revolutionären Veränderungen in Mittel und Osteuropa ziehen. Das ist die nahtlose Linie der Bundesregierung gemeinsam mit der US-Regierung, und das, was Stoltenberg sagt, weicht davon ab.
Laut jüngsten Äußerungen sowjetischer Politiker ist eine Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands in der Nato nicht akzeptabel. Gehen Sie davon aus, daß sich diese Haltung in den kommenden Gesprächen und Verhandlungen ändert?
Ich gehe davon aus, daß die UdSSR ihre Haltung noch nicht genau festgelegt hat. Es geht ihr in erster Linie darum, die eigenen Sicherheitsinteressen gewahrt zu wissen. Und das ist das mindeste, was wir der UdSSR zugestehen müssen. Die militärpolitischen Sandkastenspiele Stoltenbergs geben hier die falschen Signale und leisten Mißtrauen wieder Vorschub, die Deutschen könnten doch den einen oder anderen Vorteil daraus ziehen wollen. Aus der Sicht der UdSSR sind Truppen, die nur deutschem Kommando unterstehen, doch wesentlich anders zu bewerten als in der Nato eingebundene Truppen. Und deswegen ist Stoltenbergs Vorschlag in dieser schwierigen Situation unverantwortlich. Er gefährdet dadurch möglicherweise auch die Stellung Gorbatschows, weil er den militärischen Bedenken vieler in der UdSSR Vorschub leistet.
Ist das ein Knackpunkt für die Koalition?
Es ist eine sehr bedeutende Frage für die FDP, daß wir die Nato nicht ausgedehnt wissen wollen. Ich habe nur gesagt, eine Ausweitung des Nato-Gebietes wird es mit der FDP nicht geben. Das Wort Koalitionsfrage haben Journalisten daraus gemacht, das habe ich nicht in den Mund genommen.
Angenommen, das Genscher-Modell würde realisiert. Reicht das aus als Sicherheitsgarantie für die UdSSR, oder bedarf es weiterer Signale, zum Beispiel hinsichtlich der Gesamtstärke einer deutschen Armee? Reicht es aus, über diese Frage erst 1991 bei einer zweiten Wiener Verhandlungsrunde zu reden?
Ich würde für ein früheres Signal plädieren. Wir wollen zwar keine deutsch-deutschen Alleingänge. Aber wenn wir die deutsche Einheit wollen, werden wir in Absprache mit unseren Verbündeten deutliche Signale an die Sowjetunion und die Warschauer-Pakt-Staaten senden müssen, daß wir die Bundeswehr und die Struktur der Bundeswehr und ihre Aufgaben, vor allem was die Vorneverteidigung anbelangt, schon auflockern, bevor wir im Spätsommer in Wien dieses alles in einem ersten Vertrag festschreiben. Da könnte ein deutliches Signal vorab hilfreich sein.
Haben Sie Vorstellungen über die Größe der deutschen Armee im Jahre 1995?
Ich will mich nicht an Zahlenspielereien beteiligen, sondern denke eher an die Bundeswehrstrukturen und die Auflockerung der Vorneverteidigung.
Interview: Andreas Zumach
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