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Vom Härtegrad der Poesie

Verbal-Randale mit Schlagzeug/ Gespräch mit der Lyrikerin Elvira Noa  ■  hier das Paßfoto

Elvira Noa

So fein ist sie von Gestalt, daß man befürchtet, sie zerfiele beim ersten groben Wort zu glitzerndem Staub. Sieht aus wie eine Lyrikerin, ist trotzdem eine - und schreibt heftige Verse, in welchen blutfarben das Leben randaliert. Packen will sie, sagt Elvira

Noa, und in Atem halten, das Publikum, bewegen, gegen den Strich, gegen den Tod. Ihr Lächeln muß man zartbitter nennen.

Wenn sie vorliest, ist meist ein Schlagzeug dabei, gut Freund der Gedichte. „Lyrik hat Rhythmus“, sagt Elvira Noa, „die meine ist hart, körperlich, ein Sprechgesang. Ich sage: Melo-Drama. Musikalisch erweitert, verschärft.“

In Liebesstreu, ihrer jüngsten Performance, ist alle Welt belebt, durchblutet, handgreiflich. Das ist, erklärt sie, für sie immer so gewesen; die Dinge haben Leben, oder sie sind entsetzlich. „Ich bin Jüdin. Es schmerzt mich, was um mich alles tot ist. Die deutsch-jüdische Tradition, die Geschichte vor '45, die Städte seither, die ihre Herkunft leugnen. Ich kann mich an Straßen erinnern, durch die zu gehen ich als Kind mich geweigert habe. Ich ertrug die Häuser dort nicht. Ich erlebe körperlich. Meine Sprache ist ein An

griff, der Gegner die Kälte.“

Es kommt vor, daß sich nach Lesungen Frauen bei ihr bedanken. Wofür? „Ich spreche aus, unverschleiert, was ist, in mir“, sagt sie und haucht in ihren Ton ein wenig Besorgnis, ob ich das auch verstünde. „Es ist das Krasse, das wirkt. Männer neigen dazu, darüber zu erschrecken.“ Liebe springt einen an, Haß, Enttäuschung, mit wirklichem Leben in den Worten, soweit das geht. Elvira Noa liebt die Sprachkraft, die Macht des unbehauenen Bildes - und die kralligen, rohen Sätze. Unverschleiert ist ihr Lieblingswort. „Meine Sprache müßte den Härtegrad des Lebens erreichen“, sinnt sie.

Sie hat 1989 den Bremer Literaturförderpreis erhalten. Dennoch:Die gelernte Pianistin gibt Klavierstunden, weil von der Lyrik niemand leben kann. Sie lebt in einer Wohnung „mit tausend belebten Dingen“: Von Vasen erzählt sie und von Kerzenhaltern,

von Stofftieren und von allerhand alten Kleidern und Decken, die wegzuwerfen sie sich weigert.

Das ist Eigenmacht: einteilen, was wichtig ist, was nicht. Was wichtig ist, ist belebt. „Das verbindet mich mit Rilke!“, sagt sie und schiebt gleich nach: „Sonst natürlich darf ich mich nicht...“, aber ihr neues Programm, das wird auf Texten des poetischen Altmeisters aufbauen. Zu einer seiner Elegien will sie selbstkomponierte Musik gesellen, des Sprachmusikers Geschichten, wie sie sagt, „weitererzählen“, ausspinnen zu einem lyrischen Tanztheater. Vier TänzerInnen werden es in Bewegung setzen; ab Anfang April im Freiraum-Theater. Sein Titel lautet: „Heimatlosigkeit“. Elvira Noa schaut wieder, ob ich vielleicht zucke; „die existentielle Heimatlosigkeit meine ich“, sagt sie, „der Untertitel ist: Variationen über ein jüdisches Thema.“ Manfred Dworscha

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