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Verbotener Traum-betr.: "Das neue Elend der Intellektuellen", "Da wird ein regelrechtes Traumverbot ausgesprochen", taz vom 9./12.2.90

betr.: „Das neue Elend der Intellektuellen“, „Da wird ein regelrechtes Traumverbot ausgesprochen“, taz vom 9./12.2.90

Unruhe macht sich breit in der Szene. Ein Bazillus verbreitet sich in den Reihen der Linken, ÖkologInnen, Feministinnen, Jusos, GewerkschaftlerInnen, Friedensbewegten, KünstlerInnen, Intellektuellen und nicht zuletzt der Alternativ-Bäuerinnen. Der Bazillus des Exodus aus der BRD, rein in die DDR. Das ist die Chance, auf die wir so lange gewartet haben. Die Chance, unsere Träume zu leben, den Konstumterror, die Sinnlosigkeit unseres Lebens, die Psychokisten, die „Midlife-crisis“, das politische Theoretisieren unseres Lebens hier in der BRD abzustreifen. (...)

Unsere fabrikneuen Kat-Autos nehmen wir natürlich mit, wir sind ja für die Umwelt. Die Ikea-Möbel und Stereoanlagen auch, wo wir sie ja einmal haben. (...) Unsere Immobilien verkaufen wir gut, das Kapital wird in unserem neuen Land zum Aufbau der Infrastruktur dringend gebraucht. Und wir Bauern/Bäuerinnen nehmen natürlich unsere Maschinen mit. Die Parzellen müssen wieder kleiner werden, jeder Trecker wird gebraucht.

Die GrenzbeamtInnen, StatistikerInnen, Medien und PolitikerInnen trauen ihren Augen kaum. Auf einmal stehen 2.000 täglich ausreisenden DDRlerInnen 3.000 täglich in die DDR einreisenden BRDlerInnen gegenüber. Die BürgerInnen, die auf dem Boden der FDGO stehen, reiben sich vergnügt die Hände. Endlich gehen diese NestbeschmutzerInnen, diese vaterlandslosen GesellInnen, diese KommunistInnen nach drüben, wo sie hingehören. Sie treffen dort auf die übrig gebliebenen DDRlerInnen, die Unbelehrbaren - eine tatkräftige Konstellation.

Die Konferenz der zwei plus vier zur endgültigen Vereinigung Deutschlands. Nur noch eine Formsache. Aber was ist mit der DDR-Delegation los? Sie ist gekommen, um mitzuteilen, daß seitens der DDR kein Interesse an Wiedervereinigung mehr besteht. Der Aufschrei von Kohl -Deutschland ist schauerlich. Man hat einen historischen Fehler gemacht, indem man diese Subjekte ausreisen ließ, um die DDR zu unterwandern. Man hätte dies mit einem „Schutzwall“ verhindern sollen. Zu spät! Was sagte doch weiland M.Gorbatschow? „Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte!“

Der Wecker klingelt. Verdammt, alles nur ein Traum. Und dazu noch ein verbotener.

Wolfgang Eisenberg, Clenze

Auch ich habe am 4.November 1989 am Alex bei der Großdemo gestanden und von einer deutschen demokratischen Republik geträumt. Auch ich liebe Deutschland so sehr, daß ich zwei davon haben möchte. Aber ich ziehe mich in keine Schmollecke zurück, wenn alles scheinbar unaufhaltsam und unsteuerbar ganz anders läuft.

Stellen wir uns vor, es gibt eine deutsche Vereinigung und niemand hat Angst. Stellen wir uns vor, es gibt eine deutsche Vereinigung, die nicht das zerbrechliche europäische Gefüge zu platzen droht, sondern in Europa (ganz Europa) integrativ wirkt.

Ein Traum, der möglich wäre, wenn beide Deutschlands bereit wären, ihre ohnehin bescheidene militärische Souveränität an ein europäisches Sicherheitsgremium, bestehend aus VertreterInnen der Nato und des Warschauer Paktes, einschließlich selbstredend der USA und der UdSSR, abzugeben. Erste Aufgabe dieses Gremiums wäre eine Vereinigung von Bundeswehr und NVA und eine Verringerung auf die zur Selbstverteidigung in dieser veränderten Situation notwendige Truppenstärke. Truppen der USA und der UdSSR bleiben solange in Deutschland stationiert, wie dieses Gremium es für erforderlich hält.

Durch die Aufgabe der militärischen Souveränität erlangen die beiden Deutschlands die notwendige politische Souveränität zur selbstbestimmten Vereinigung. Es wird zwar immer deutlicher, wie wenig wirtschaftliche Souveränität die jetzige DDR besitzt; Bundesländer wie Sachsen und Thüringen werden politisch doch was zu sagen haben.

Lassen wir uns nicht gegenseitig das Träumen verbieten. Gehen wir mit unserer Fantasie in diesen frenetischen Tagen spazieren, um zu sehen, ob aus Träumen harte politische Forderungen entstehen können. Fragen wir KohlGenscherLafontaine, ob sie bereit sind, für eine Vereinigung die Bundeswehr abzugeben. Fragen wir sie!

Tony Musgrave, Berlin (noch West)

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