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Momper: Sozialunion vor Stadtvereinigung

■ Regierender Bürgermeister übte gestern im Abgeordnetenhaus scharfe Kritik an Bonn / Krisengerede führe zu Torschlußpanik in der DDR / Diepgen setzt sich für eine „schnelle Einheit“ ein / Berlin soll Vorreiterrolle spielen / Köppl (AL) plädiert für „sanften Weg der Annäherung“

Der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) hat ein mit der DDR abgestimmtes Sofortprogramm zur Verbesserung der Infrastruktur gefordert, damit die Menschen in der DDR wieder Hoffnung schöpfen könnten. Zu lange sei versucht worden, die Bevölkerung in der DDR durch „Wiedervereinigungsrhetorik“ über die sozialen Schwierigkeiten einer Vereinigung zu täuschen, sagte er am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus. Das „Bonner Krisengerede“ habe nicht unerheblich dazu beigetragen, daß sich in der DDR Torschlußpanik breit mache.

Momper erneuerte seine Forderung nach einem gemeinsamen Ausschuß von Bundesrat und Bundestag, in dem in der Übergangsphase bis zur Vereinigung ein Austausch stattfinden müsse. Die Länder müßten bei allen Entscheidungen über die zukünftige Struktur Deutschlands konsultiert werden, denn sie hätten im Augenblick die Hauptlast auf dem Weg zur Einheit zu tragen. Der Regierende Bürgermeister wandte sich gegen den Vorschlag der CDU-Opposition, Gesamtberliner Wahlen schon vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten abzuhalten. Diese Forderung sei „leichtfertige Effekthascherei“ und bewirke Chaos.

Berlin werde in Zukunft wieder eine Stadt mit einem Parlament, einer Stadtregierung und einer Verwaltung sein, sagte Momper. Die Einigung der Stadt und die Herstellung einer gemeinsamen Stadtverwaltung sei aber nicht vorstellbar ohne die vorherige Herstellung einer Wirtschafts-, Währungs und Sozialunion. Dies müsse schrittweise organisiert werden, damit der Übergangsprozeß den Menschen nicht schade.

Der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Eberhard Diepgen sprach sich für eine schnelle Einheit noch in diesem Jahr aus. Berlin könne dafür Vorreiter sein. Die CDU strebe die verwaltungsmäßige Einheit Berlins für dieses Jahr an, unterstrich Diepgen. Voraussetzung seien baldige Gesamtberliner Wahlen, möglichst am 6. Mai. Schon die Lage Berlins mache ein schnelles Tempo unausweichlich. Im Laufe dieses Jahres werde die Mauer vollständig eingerissen. „Und es wird und darf keinen Zaun als Ersatz für die Mauer geben.“ Ohne schnelle Schritte zur Einheit gebe es dann in der Stadt zwei Währungssysteme, zwei Rechtssysteme, zwei Verwaltungen, zwei Parlamente und zwei verschiedene soziale Absicherungen.

„Jede Verschiebung der Diskussion birgt das Risiko einer Destabilisierung, eines Kollapses der DDR in sich.“ Je schneller der Prozeß der Einheit ablaufe, desto unstreitiger und leichter durchsetzbar sei die feste Einbindung ganz Deutschlands in die Europäische Gemeinschaft und in die NATO. Diepgen unterstrich, daß eine Ausdehnung der NATO -Schutzgrenze an die Westgrenze Polens nicht in Frage komme.

Für einen „sanften Weg der Annäherung“ trat der Abgeordnete der Alternativen Liste Bernd Köppl ein. Ein übereilter, vollständiger wirtschaftlicher Anschluß der DDR an die Bundesrepublik sei ohne jede ökonomische Vernunft. Köppl meinte, eine sofortige Einführung der D-Mark als Zahlungsmittel in der DDR sei abenteuerlich und katastrophal, weil sie ohne ausreichende wirtschaftliche, steuerpolitische und sozialpolitische Vorbereitung zu schlagartigen Konkursen von Teilen der DDR-Wirtschaft führen werde.

dpa

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