Ostberliner Wahlen noch vor dem 6. Mai?

■ Unterschiedliche Auffassungen über Gesamtberliner Wahlen zwischen Ost- und West-Sozialdemokraten / Der Zeitpunkt ist noch offen / Die Westberliner Sozis setzen auf Bundesland „Berlin-Brandenburg“

Wahlen, Wahlen und kein Ende: Nach den Christdemokraten haben sich gestern auch die Ostberliner Sozialdemokraten für Gesamtberliner Wahlen ausgesprochen. Nach der ersten Sitzung der von West- und Ostberliner SPD eingesetzten „Kommission Zukunft Berlin“ ließ der stellvertretende Ostberliner SPD -Vorsitzende Knut Herbst gestern in West-Berlin den Zeitpunkt allerdings offen. Außerdem schloß der Sozialdemokrat nicht aus, daß Ostberliner Wahlen vielleicht noch vor dem 6.Mai stattfinden müssen, weil die jetzige Verwaltung in Ost-Berlin zusammenbricht. Er hänge, so Herbst, von der Entwicklung in den Ostberliner Bezirken und von dem Gesamtprozeß der Einigung der beiden deutschen Staaten ab. Die gemeinsame SPD-Kommission hatte am Mittwoch zum ersten Mal in West-Berlin getagt und gab gestern die Ergebnisse ihrer Sitzung bekannt.

Herbsts Äußerungen standen im Widerspruch zu denen des Westberliner geschäftsführenden Landesvorsitzenden Lorenz, der sich ohne Wenn und Aber gegen baldige Gesamtberliner Wahlen aussprach. Lorenz bekräftigte nach der ersten Sitzung der gemeinsamen SPD-Kommission den Standpunkt, den die Westberliner SPD auf ihrer Klausurtagung am vergangenen Wochenende eingenommen hatte: Die West-Sozis setzen nicht auf ein Land Groß-Berlin, sondern auf ein Bundesland Berlin -Brandenburg (die taz berichtete). „Wer einen geordneten Weg zur Einheit mit einer verfassungsgebenden Versammlung möchte, kann nicht für Gesamtberliner Wahlen am 6.Mai sein“, so Lorenz. Solche Wahlen bedeuteten außerdem, daß dann automatisch ein Land Groß-Berlin geschaffen werde, mit allen politischen Folgen, und dagegen sei die Westberliner SPD.

Die Kommission will zur Klärung ihres Standpunktes der Länderfrage bis nächste Woche alle juristischen Möglichkeiten prüfen und hat zu diesem Zweck eine Expertengruppe eingesetzt, die Szenarien erstellen soll. Lorenz bezeichnete die Forderung der Ostberliner CDU nach Wahlen am 6.Mai als nicht erstaunlich, griff aber die Westberliner CDU scharf an für ihr Paktieren mit der ehemaligen Blockpartei. „Die sühlen sich da gemeinsam im Bett herum, das ist keine Kooperation, das ist Kopulation.“ Lorenz will Gesamtberliner Wahlen erst, wenn die deutsche Einheit schon vollzogen ist. Dann könnten sowohl Gesamtberliner, Landtags- und Bundestagswahlen stattfinden.

Herbst ging gestern auch davon aus, daß in Ost-Berlin am 6.Mai Kommunalwahlen stattfinden und eine neue Stadtverordnetenversammlung gewählt wird. Bis jetzt ist es immer noch unklar, ob Ost-Berlin am 6.Mai nicht nur Bezirkswahlen vornimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse der Magistrat von Ost-Berlin, so Herbst weiter, seine Funktionsfähigkeit erhalten, aber zunehmend politische Funktionen an den Runden Tisch abgeben. Dieser sei derzeit das einzige demokratisch legitimierte Gremium in Ost-Berlin. „Die Ostberliner SPD hat kein Interesse daran, den Magistrat zu kippen“, bekräftigte er. Durchaus besorgniserregend stellt sich die Lage in Ost-Berlin nach seiner Schilderung dar: Einzelne Stadtbezirksräte seien nur noch eingeschränkt funktionsfähig, die Zahlungsfähigkeit der Stadt noch für zwei Monate gewährleistet. Ein Haushaltsplan für 1990 liegt nach seinen Worten noch nicht vor.

KD