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Abfahrt Paradies, direkt am Autobahnkreuz

■ Wo sich A1 und A27 küssen eröffnet in Sebaldsbrück das achte Einkaufsweltwunder / Weserpark: 60.000 Quadratmeter Warenwelt unter einem Dach

Der unvoreingenommen golf-vorbeifahrende Familienvater könnte ihn zwar noch für eine ganz ordinäre Großbaustelle halten. In Wirklichkeit legen 1.500 buten-und binnen-Bremer Handwerker aber gerade letzte Tischler-, Glaser- und Elektrikerhand an ein mittleres Welt-, na, mindestens ein Europawunder: Mitten in Bremen entsteht eine Art flachgelegter Eifelturm, wird Bremens Antwort auf das Frankfurter Campanile gegeben, Hemelingens Pendant zum Pariser Centre Pompidou gefunden, schlägt das

Bremer imperium gegen Niedersachsens Dodenhöfe zurück. Der „Weserpark“ - das größte „Fachmarkt-Shopping-Center, nein, nicht ganz Hemelingens, nicht ganz Bremens, sondern ganz Deutschlands: Seit Otto dem Großen (936 n. Chr.) ist von seinen neuzeitlichen Nachfahren beim Otto-Versand nie ein größerer Supermarkt gebaut worden.

Von weitem sieht das ganze im Augenblick noch aus wie ein gigantisches System kommunizierender Wohnzimmer-Zierbecken für Lebendfische, ein trockenge

fallenes, riesiges Aquariums Ensemble aus grünen Stahlrohr-Skeletten und verschwenderischem Fensterglas-Umgang zur artgerechten Winterhaltung von Menschen-Rudeln, 100 Millionen Mark teuer und mit 8.000 Quadratmetern vollverglast. Schon in einer Woche sollen sich auf einer Nutzfläche von 60.000 überdachten Quadratmetern die Kundenströme trocken zwischen 750 in die Fliesen gepflanzten Eichen und Linden tummeln und in 54 verschiedenen Geschäften die in sie gesetzten Erwartungen der

Umsatz-Prognostiker erfüllen. Eine Millionen Menschen sehen die Marktforscher des Hamburger Prisma-Instituts schon jetzt in den 54 Geschäften rund 7,6 Milliarden Mark pro Jahr für Lebensnotwendiges und weniger Lebensnotwendiges ausgeben.

Im Weserpark gibt es: Alles. Von grober Mettwurst bis zu feinster Confiserie, vom Heimwerker-Schlagbohrer bis zur Profi-Kamera, von der kochfesten Arzt-Socke bis zum hauchzarten Damen-Nylon und, und, und... Später soll zum Einkaufserlebnis auch noch Kinovergnügen und Badespaß kommen. Einen Filmpalast mit 20 Kinos und insgesamt 3.000 Plätzen plant die Investorengesellschaft direkt am Weserpark. Und auch die Gerüchte, das ursprünglich angekündigte Spaßbad sei inzwischen endgültig geplatzt, demnetiert Center-Manager Horst Michaelis heftig: „Das Spaßbad kommt auch noch“.

Schon ab 1. März wird zum guten Einkaufsschluß immerhin und buchstäblich im Vorbeifahren auch fürs leibliche Wohl gesorgt. Mit Hackfleisch und Fischklopsen durchs Beifahrerfenster von McDonalds/McDrive.

Wo in einer Woche Video-Fachberater, Oberbekleidungs -Einzelhändler, Reisekaufleute und Hairstylisten die Herrschaft im Reich der Waren antreten sollen, regieren gegenwärtig noch die per Walkie-Talkie dirigierten Bautrupps auf Hebebühnen und Montagegerüsten. In der Eduscho-Filiale in spe werden gerade

die Marmorfliesen wieder aus dem Estrich gerissen. Irgendjemand ist mit schwerem Baugefährt über die frischverlegten Fußboden-Kostbarkeiten gedonnert. Alles im Dutt und vor allem schief. Im Süßwarenladen nebanan ist der Boden zwar komplett, dafür aber die Decke noch löchrig. Quadratische Aussparungen legen hohe, aber einkaufserlebnisabträgliche Blicke in die Strom

versorgung frei. Gärtnerko lonnen setzen eigens aus Hawaii eingeflogene „ficus grandiosa“ in künstliche Erdkrater zwischen keramikverflisten Handel-und-Wandel-Hallen.

Wenn sie erst blühen, weiß Center-Manger Michaelis, sind wir einmalig. In ganz Europa. Am 1. März geht's los mit der Einmaligkeit.

K.S.

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