: Märchen Solidargemeinschaft
■ Betr.: Kommentar „Menschenverachtung“ , taz vom 21.2.90
Lieber Holger, darauf, daß im Drogenbereich menschenverachtende Ideologien und Strukturen prägend sind, können wir uns schnell einigen. Nur, wieso sind es denn auf einmal die Kassen? Erst mal, die Sache mit der Solidargemeinschaft ist doch ein nettes Märchen. Eine steigende Anzahl von Besserverdienenden steigt aus und läßt sich privat versichern, in den sogenannten strukturschwachen Gebieten tragen vor allem die Allgemeinen Ortskrankenkassen die Lasten von hoher Arbeitslosigkeit und höheren Kranheitsrisiken von Menschen mit niedrigem Einkommen. Das Gesundheitsreformgesetz hat eine weitere Runde eröffnet, inden er es der Gründung von Betriebskrankenkassen Vorschub leistet. Die Kosten für Methadon-Vergabe gehen eben nicht zu Lasten der „Solidargemeinschaft“, sondern der Menschen, die sowieso schon die höchsten Krankenkassenbeiträge zahlen müssen. Methadon-Vergabe auch an die Drogenabhängigen, bei denen nach bisheriger Einschätzung und Rechtslage keine medizinische Indikation vorliegt, ist eine lange erkämpfte, politisch richtige Entscheidung. Das muß sich m.M.n. dann auch in Taten niederschlagen, die über das bisher Geplante, nämlich Räume im Hauptgesundheitsamt für die Wochenendvergabe zur Verfügung zu stellen, hinausgehen. Und da sind wir beim Reizwort Methadonprogramm, das ja, wenn sich nun alle bekreuzigt haben, nichts anderes meint, als Methadonvergabe als staatliches Angebot für die Drogenabhängigen, für die nach bisher herrschende Meinung kein medizinischer Grund für eine Methadon-Vergabe vorliegt, kombiniert mit einem Angebot an ergänzenden Hilfen in staatlicher und freier Trägerschaft. Das ist bei der im Moment herrschenden Rechtslage die einzige Möglichkeit. Ein Wandel der drogenpolitischen Position muß sich in Verantwortlichkeit niederschlagen. Das Abschieben des Problems in den Bereich der niedergelassenen Ärzte ist konzeptionslos und feige. Ansonsten warten wir eben wieder auf Bundespolitische Entscheidungen, der Senat ist hier den Druck los, auf Kosten der Drogenabhängigen.
Karoline Linnert
U-Satz:!!!!
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen