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Hauptsache g gemeinsam

■ Ja, ja, die Wohngemeinschaft. Da verdreht fast jeder die Augen und gibt Histörchen zum besten: von Schmutztoleranzen bis Eifersüchteleien. Aber was hier an Lebensformen eingeübt wurde, hatte einen weitreichenden Einfluß auf das soziale Leben schlechthin.

Von

KARL-HEINZ STAMM

riedel ist heute 40, er ist das, was man einen APO-Opa nennt. Übriggeblieben aus einer Zeit, als es noch ums Ganze ging, hat er sich mittlerweile ins begehrte Eckzimmer vorgewohnt. Eleonore dagegen, erst 28, Sozialarbeiterin und nach dem Scheitern ihrer Liebesbeziehung nicht nur von ihrem Freund, sondern auch von Tisch und Bett getrennt, hat gleich das Zimmer zur Straße genommen. „Ich bin eh nie zu Hause“, war ihre lapidare Begründung. Dann gibt es noch Katja, die nach ihrem Publizistik-Studium nach Berlin kam, weil sie die Schnauze einfach voll hatte von dem mondänen München, sie hat das makrobiotische Essen eingeführt. Schließlich gibt es noch Ludwig und Bert, beide Germanistikstudenten, die sich in der obligaten Einführung ins Mittelhochdeutsche kennenlernten. Alle fünf wohnen zusammen, teilen sich eine einstmals großbürgerliche Wohnung, WG in Abkürzung von Wohngemeinschaft genannt.

Während aber Friedel, das 68er-Fossil, noch heute die Fahne des kollektiven Wohnens und Lebens aufrecht hält - zwar immer zögerlicher, was nach 13 oder 14 Schichtwechseln, so genau weiß er das nicht mehr, nicht verwundert -, suchen die anderen nicht die gemeinsame Wärme, sondern ein billiges Zimmer in guter Wohnlage. Die Ökonomie des Wohnungsmarktes ist durchgeschlagen. Man teilt sich eine Wohnung, organisiert den Einkauf, das Putzen und hin und wieder auch ein gemeinsames Essen. Und wenn einer oder eine auszieht, dann trifft man sich noch ein- oder zweimal, und das war's dann auch.

Dabei hatte alles ganz anders angefangen. Rüdiger erinnert sich genau an seine Zeit in Frankfurt. Seine WG war eine der ersten, die aus dem spontaneistischen Spektrum hervorgingen, und fortan war sie beliebter Treffpunkt und Umschlagplatz der Szeneinformationen. Hier fanden frauenbewegte Debatten statt, bei denen er als Mann ausgeschlossen war, Arbeitsgruppen zu Statistik I und II, Musik-Sessions oder klandestine Übereinkünfte, die den Körperschutz beim Kampf mit den Bullen betrafen. Und als der Häuserkampf am heftigsten tobte, da wurde der Keller zur geheimen Produktionswerkstatt von Krähenfüßen und Farbeiern, was den Koch- und Essensplan auf zwei Wochen außer Kraft setzte, standen fortan doch Rührei und Omelett auf dem Programm. Und er erinnert sich an Ulrike, die frisch verliebt, wie sie nun einmal war, nur zum Duschen, Pinkeln oder Essen ihr Zimmer verließ. Einmal saß sie mit ihrem Liebhaber pudelnackt am Essenstisch. Das hat bei ihm ein Gefühl jener Art ausgelöst, die wir die dritte nennen, denn, wie da der Genosse vom „Revolutionären Kampf“ neben ihm saß, seinen noch immer halberigierten Penis im Schoß, während er sich oben daran machte, die Bratwurst auf seinem Teller zu zerlegen, da hatte er das Gefühl, er wohne einer Kastration bei.

Das war er, der progressive Alltag der 70er, ohne Pardon gegen die eigenen Gefühle, ohne Verzagtheit gegen das Establishment, gegen Eltern und Konventionen. Eine Radikalität, die mit allem und jedem brach und auch einige Opfer gefordert hat. Denn die Freizügigkeit hat manche Neurose produziert - so soll der gemeinsame Schlafraum zu einer Fixierung auf Kopfhörer geführt haben, die man beim Geschlechtsverkehr aufsetzte, um das nötige Gefühl der Intimität zu erfahren.

war gab es sie immer schon, die Formen des kollektiven Zusammenlebens, auf dem Monte Verita bei Ascona beispielsweise, hier in der Bundesrepublik aber hat es so richtig erst mit der antiautoritären Studentenrevolte angefangen. Kommune I und II, Langhans, Teufel, Kunzelmann, nicht zu vergessen Uschi Obermaier, von hier ist der revolutionäre und utopische Impuls des kommunitären Zusammenlebens ausgegangen. Aber während dem Kommunegedanken noch eine Idee von der Revolutionierung des „bürgerlichen Individuums“ zugrunde lag, trat schon kurze Zeit später mit der Alternativbewegung an die Stelle dieses utopischen Anspruches ein eher pragmatisches Streben nach Veränderung der zwischenmenschlichen Verkehrs- und Vergesellschaftungsformen.

Wollte die „Wohngemeinschaftsbewegung“, die in den Jahren 1973/74 einsetzte, doch Freiräume schaffen für die Entfaltung der eigenen Individualität. Einen Freiraum, der weder durch theoretische Programme noch ideologische Paradigmen eingeschränkt sein sollte. Gemeinsame Kindererziehung, Abbau irrealer Fixierungen auf Zweierbeziehungen, Destruktion falscher Besitzansprüche, das waren nur einige der Intentionen, mit denen nicht nur die Wohn-, sondern auch alle anderen alternativen Projekte auf den Plan traten.

Und so fanden innerhalb der WGs Prozesse statt, die darauf zielten, dasjenige wieder anzueignen, was in der Kleinfamilie zum Ritual verkommen war: den kollektiven Wohnzusammenhang. Herzlichkeit, Geborgenheit, Wärme und Solidarität, all die abgespalteten Elemente, die in den großfamilialen Zusammenhängen vermeintlich noch vorhanden waren, sie sollten jetzt reaktiviert werden.

Es waren aber nicht nur die überkommenen Normen, die bürgerliche Moral, die Verhaltensweisen die zur Disposition standen, auch Raum und Zeit wurden in Frage gestellt. Zuerst einmal ging es nach unten, denn, so wie man aufs Bettgestell und Sprungrahmen verzichtete und die Matratzen auf den Boden legte, so begab man sich jetzt zum Tee, zum Joint auf den rieselnden Maisstrohteppich, eignete sich den Boden an und hatte die Ideologie auf seiner Seite. Denn die Isolation durch abgrenzende pompöse Sitzelemente und Sitzordnungen, wie sie noch in den Wohnzimmern der Eltern vorherrschend waren, sie fanden hier ihre Negation. Die Eröffnung einer unvermittelten, sinnlichen Interaktion und Kommunikation, egalitäre Beziehungs- und Verhaltensstrukturen: das war es, was man wollte.

ie Eroberung und Aneignung machte aber auch nicht vor Küche, Bad und Flur halt. Die gemeinsame und gleichzeitige Benutzung des Badezimmers, das Bücherregal im Klo und der zum Gemeinschaftsraum umfunktionierte Flur - die Westberliner hatten es da besser, war das sogenannte Berliner Zimmer als Gemeinschaftsraum doch geradezu prädestiniert - da haben die Wohnkollektive versucht, die vorherrschenden Raumstrukturen an die eigenen, sich verändernden und entfaltenden Bedürfnisse anzupassen.

Und so, wie man nach außen auf das Verhängen der Fenster verzichtete - man hatte schließlich nichts zu verbergen -, so wurden auch innerhalb der vier Wände die Barrieren und Grenzen abgebaut. Die ausgehängten Türen zu den Privatzimmern demonstrierten den ungehemmten Zugang zu allen Räumen und damit die erfolgreiche Überwindung der Trennung des privaten vom öffentlichen Bereich.

Schließlich war auch Zeit im Überfluß vorhanden. Das Frühstück zur Mittagszeit und die stundenlangen politischen Diskussionen, der Plausch oder einfach nur Geschichten zu erzählen, ihnen zuzuhören, damit hat man der funktionalen Zeit, die an der Produktivität sich mißt, eine qualitativ andere entgegengesetzt.

Alltag in einer WG, das war aber nicht nur der ständig leere Kühlschränk, Berge von schmutzig-verkrustetem Geschirr, endlose Diskussionen um Schmutztoleranz und Lautstärke, hier wurden auch Verhaltensweisen aufgebrochen, Egoismen angeprangert, Toleranz gefordert und Pluralität eingeübt, die heute so mancher Kleinfamilie zugute kommt. Denn die, das ist meine These, die durch die harte Schule wechselnder Wohngemeinschaften gegangen sind, konfrontiert mit feministischen Imperativen, anarchistischer Libertinage oder okkulter Esoterik, das sind heute die besseren Ehepartner. War das kommunitäre Leben doch eine sekundäre Sozialisationsinstanz par excellence.

Aber, es gibt auch noch die Friedels, die den Schon- und Erfahrungsraum einer WG zur Ausbildung eigener Ich-Stärke nicht nutzen konnten. Sie brauchen sie immer noch, die Verantwortung in der Verantwortungslosigkeit, die vermeintliche Nähe in der Anonymität, die Beziehung in der Beziehungslosigkeit.

Ein Abgesang auf die Wohngemeinschaften ist das nicht, denn egal, ob mit oder ohne Putzfrau, mit oder ohne gemeinsames Essen, ob mit oder ohne Kind, ob hochgestylt oder schmuddelig, eine Alternative zum Alleinsein sind sie allemal, auch wenn die Radikalität von einst im gemeinsamen Abo der taz sich oft erschöpft.

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