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Die Liege des Abendlandes

■ Geschichte wird im Bett gemacht, sagt so mancher, dessen Gedankenwelt über die Bettkante nicht hinausreicht. Wie jedoch Geschichte wegen der Bettstatt gemacht wurde, das versucht Rüdiger Kind zu ergründen

Geschichte wird im Bett gemacht, sagt so mancher, dessen Gedankenwelt über die Bettkante nicht hinausreicht. Wie jedoch Geschichte wegen der Bettstatt gemacht wurde, das versucht

RÜDIGER KIND zu ergründen.

nsere Ahnen, die Germanen, ahnten noch gar nicht, wie richtig sie schon damals lagen. In ihren Höhlen ruhten sie sich auf hochwertigen Naturmaterialien wie Mammut-, Bären und Wolfsfellen vom Streß des Jäger- und Sammleralltags aus

-bis die Römer kamen, ihr Lager aufschlugen und den Germanen das Herumlungern auf Fellen verboten. Als diese daraufhin mit der Dreifelderwirtschaft begannen, kam der Strohsack als Liegestatt groß in Mode. Er war in den Ausführungen Weizen-, Roggen- oder Hafer-Strohsack, als Dreikorn-Strohsack und, für die ersten Anhänger des aufkeimenden Christentums, dem Heiligen Strohsack lieferbar.

Auf ihren Kreuzzügen zur Befreiung des Heiligen Landes lernten die Ritter die verfeinerte Lebensart der Orientalen kennen. Seidenkissen, Samtpolster und mit dem Haupthaar der Ungläubigen gefüllte Säcke waren bald von einer deutschen Bettenburg nicht mehr wegzudenken. Einzig die Minnesänger füllten die Kissen mit den Locken ihrer Angebeteten.

Der 30jährige Krieg mit seinen Verwüstungen ganzer Landstriche, seinen brachliegenden Feldern, bedeutete das Aus für den Liebhaber altgermanischer Schlafkultur. Die barocken Abschlachtorgien zwangen die wenigen Überlebenden zur Improvisation - was lag da näher als ein totes Pferd? Die ersten Prototypen der späteren Roßhaarmatratzen datieren auf jene dunkle Periode des Hasses und der allgemeinen Verwilderung der Sitten, bis die im 18. Jahrhundert grassierende Vorliebe für französischen Schlafkomfort den Deutschen endlich die Matratze über den Rhein brachte. Gefüllt mit allerlei Federwerk, war sie keinesfalls die „matte Ratze“, als die sie die gußeisernen Preußen verspotteten. Sie blieb, von einigen Änderungen im Aufbau abgesehen, bis heute die Standardunterlage aller schlafenden Zivilisationen.

Die industrielle Revolution mit ihrem grenzenlosen Fortschrittsglauben brachte einige Neuerungen im Bettenbau. 1831 wurde das erste Dampfbett in Betrieb genommen, das sich jedoch aufgrund der starken Verrußung der Bettwäsche nicht durchsetzen konnte. Heinrich Weng gelang es 1841 erstmals, die französischen Gänsefedern durch hochwertige Stahlfedern zu ersetzen. Diese Urform der modernen Federkernmatratze setzte neue Maßstäbe in punkto Elastizität, Pflegeleichtigkeit und Liegekomfort.

ie neue Matratzengeneration bot erstmals die Voraussetzung, den Franzosen auf ihrem ureigensten Gebiet Paroli zu bieten. Die gut ausgeruhten Soldaten der deutschen Staaten setzten 1870 zum Sprung über den Rhein an - und landeten in Paris, wo sie vom Himmelbett des Sonnenkönigs in Versailles sogleich das Deutsche Reich ausriefen. Während des deutschen Siegestaumels teilten England und Frankreich klammheimlich den afrikanischen Kontinent unter sich auf. Dadurch drohte dem jungen deutschen Staat eine gefährliche Verknappung der Mahagoni-Lieferungen, die für die Herstellung der in Mode gekommenen Gründerzeit-Schlafzimmer von nationaler Bedeutung waren. Deutschlands Bettruhe abhängig vom Gutdünken des Franzmanns, das deutsche Eheleben in den Händen der englischen Koofmichs? Nicht mit uns!

Beim Versuch, durch den Ersten Weltkrieg die lebensnotwendigen Rohstofflieferungen für die deutsche Bettenwirtschaft zu sichern, verstrickten sich deutsche Jungs in unnötige Grabenkämpfe mit ihren französischen Nachbarn, die bald in einen regelrechten Stellungskrieg ausarteten. Mit der Verhängung einer Bettenblockade versuchte das perfide Albion, das deutsche Volk um seine verdiente Nachtruhe zu bringen. Der geniale Schachzug der Obersten Deutschen Heeresleitung, mit den neuentwickelten U -Betten die englische Blockade zu durchbrechen, ging aufgrund mangelnder Wasserfestigkeit voll in die Hose und der Krieg verloren. Nun mußten alle 1870/71 erbeuteten französischen Betten an Frankreich zurückgegeben werden.

Deutschland wurde eine Weimarer Republik und hatte auch sonst nicht viel zu lachen. Die deutschen Volksmassen, die in der Inflation die letzte Decke verloren hatten, hörten es deshalb nur zu gern, als ihnen der böhmische Gefreite eine Bettdecke mit prima polnischen Daunen versprach. Die nationalsozialistische Bettenlehre, die Adolf auf der Pritsche seiner Landsberger Zuchthaus-Suite ausgearbeitet hatte, analysierte die deutsche Misere als „Bett ohne Raum“, der den deutschen Volksgenossen im Osten zur Verfügung gestellt werden sollte. Als aber die deutsche Bettenfront schon vor Ablauf der 1000jährigen Garantiefrist zusammenkrachte, mußte der Deutsche seinen Traum vom Schlafzimmer im Osten endgültig begraben.

Getrennte Schlafzonen mit westlichem und östlichem Diwan wurden ab 1949 große Mode in Deutschland. Dazu mußte nur aus der Not eine Tugend gemacht und das Ehebett auseinandergerückt werden. Wollte jemand nachträglich ins andere Lager überwechseln, mußte er allerdings erst den „Todesstreifen“ überwinden.

m Laufe der 60er Jahre führte die Übersättigung mit Möbel -Krügel-Schlafzimmern zu schweren Identitätsstörungen einer verweichlichten West-Jugend. Auf den vom Sperrmüll zusammengetragenen Matratzenlagern der Kommunen und WGs brach eine bindungslos gewordene Generation sämtliche Tabus ihrer Eltern. Statt Missionarsstellung in der Schlaraffia -Kissengruft probten die Revoluzzer auf ihren Love-ins Stellungskrieg im US-Daunenschlafsack. Kein Bettgestell sollte die freie Entfaltung der Persönlichkeit behindern.

Die Bettenlandschaft war in Bewegung geraten: Während in den siebziger Jahren Partnertausch auf dem Wasserbett zum Freizeitspaß der stöhnenden Mehrheit avancierte, brach für die ehemaligen Vorreiter der sexuellen Befreiung ein neues Zeitalter der Zärtlichkeit an. Ihre sozialliberalen Kuschel -Koalitionen spielten sich nun auf der patchwork-bedeckten Schaumstoffmatratze im selbstgezimmerten Hochbett ab.

Doch auch der Schaumstoffboom fand bald sein Ende, als sich die auf den weichen Matten herangewachsene Softie-Generation mit Betroffenheit erinnerte, daß die Natur eine Fülle ausgezeichneter Matratzenmaterialien für den mündigen Bürger bereit hält. Die deutschen Schlafzimmer begannen immer mehr denen ihrer Ahnen zu ähneln - Roßhaar, Strohkern, Schurwolle schenkten sanften Schlaf selbst in unsanfter Zeit.

Fast wären alle eingeschlafen, wäre da nicht Anfang der achtziger Jahre der Ruf nach neuen Betten unüberhörbar geworden. Die Zeit der Kuschelmatte war abgelaufen, gefragt waren wieder die alten, großen Gefühle - Liebe, Leidenschaft, Tango. Nach Erkenntnis des alternativen Bettendebakels mußte sich der Mann von Welt für die Reise ins Reich der Sinne auch bettenmäßig rüsten.

Die findigen Japaner erkannten als erste die Lücke im deutschen Bettenmarkt und lieferten mit dem Futon die baumwollgefüllte Wundermatte, auf der die Yuppies die tantrische Erfahrung des Tao der Liebe zu zelebrieren vermochten. Der deutsche Bettenbau, einst Paradepferd deutscher Ingenieurskunst und berühmt für Produkte von höchster Präzision und Lebensdauer, drohte in die Krise zu geraten. Doch bevor auch diese Branche endgültig von der japanischen Futon-Offensive überrollt wurde, kam Ende 1989 mit dem Zusammenbruch des östlichen Bettgestells Bewegung in die deutsche Bettenfrage: Soll man beide Betten nur aneinanderrücken, oder kriechen die Brüder und Schwestern gleich mit unter die gemeinsame Decke unseres Schlaraffia -Landes? Eines jedenfalls ist jetzt schon klar: Die deutsche Bettenbranche hält für jede Art von Vereinigung das passende Modell parat. Damit wird die gute alte Federkernmatratze, Sprungfeder durch Jahrhunderte deutscher Bettgeschichte, endlich wieder zur Liege des Abendlandes. Gute Nacht Deutschland!

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