REISEBRANCHE IM ÖKO-FIEBER

■ In München diskutierten TourismusmanagerInnen über „ökologisches Marketing im Tourismus“

Als 1989 die Schreckensmeldung von der Algenpest an der italienischen Adria durch die bundesdeutschen Medien ging, schreckte so mancher Tourismusmanager aus den süßen Träumen stetigen Wachstums hoch: Der Algenkatastrophe folgte die Buchungskatastrophe - bis zu 30 Prozent Einbußen hatte die Region zu verkraften. Es mußte etwas geschehen. Fremdenverkehrsmanager von Adria-Orten, ja sogar einzelne Hoteliers eilten über die Alpen, um bei erlesenen italienischen Menus den besorgten Tedeschi mitzuteilen, es sei alles nur halb so schlimm.

Doch mit derart rührigem Aktionismus sind die für Umweltfragen zunehmend sensibilisierten Deutschen natürlich nicht mehr abzuspeisen. Statt Beschwichtigungsarien sind jetzt konkrete Maßnahmen gefragt.

Kürzlich trafen sich in München VertreterInnen von Reiseveranstaltern, Reisebüros, Fremdenverkehrsämtern, touristischen Forschungseinrichtungen und Umweltschutzorganisationen zur Fachtagung „Ökologisches Marketing im Tourismus“, um Vorschläge und Maßnahmenkataloge für einen Tourismus zu erarbeiten, der „das umweltpolitisch Wünschenswerte mit dem wirtschaftlich Machbaren verbindet“. Was nach der Quadratur des Kreises klingt, war der zentrale Gedanke der Organisatoren der Tagung: „Ökologisches Marketing bedeutet nicht Gewinnerzielung trotz ökologischer Orientierung, sondern durch ökologische Orientierung.“ Wie Professor Voigt feststellte, wird „ein Reiseunternehmen mit umweltorientierter Unternehmensführung auf lange Sicht erfolgreicher sein als mit der alleinigen Verfolgung kurzfristiger Ertragsziele“ - Ökologie ist also Langzeitökonomie.

Um die wunderbare Wandlung von auf Gewinnmaximierung getrimmten Kapitalisten zu bewußten Umweltschützern zu bewerkstelligen, wurde ein Umdenken zu neuen Konzepten des strategischen Marketings gefordert, ein „ganzheitliches“ Denken in Systemzusammenhängen, um „neue strategische Erfolgspositionen besetzen zu können“. Überhaupt geriet das „vernetzte Denken“ zum Zauberwort, mit dem sich die drängenden Probleme des Tourismus wie der gordische Knoten lösen lassen.

So weit, so wunderbar. Doch wie sehen die konkreten Schritte in Richtung eines „umwelt- und sozialverträglichen Tourismus“ aus? Die anwesenden Profis, die wohl schon so manche Tagung in Sachen „Sanfter Tourismus“ hinter sich gebracht hatten, drängt es zur Aktion - den sattsam bekannten Diskussionen zum Thema müssen endlich Taten folgen. Ansatzpunkt der Überlegungen war, daß die Branche nicht nur Opfer von Umweltkatastrophen, sondern auch selbst Umweltsünderin ist: Nachdem jahrzehntelang die Küsten zubetoniert, die Abwässer ungeklärt ins Meer geleitet worden waren und jede Warnung vor Umweltproblemen in den Wind geschlagen wurde, meint man nun, ganz schnell auf den Öko -Dampfer aufspringen zu müssen - nicht aus Einsicht, sondern unter dem massiven Zwang des Geschäfts. Der Branche, die sich seit Jahren in der Sonne ungetrübter Bilanzen aalt und sich nicht die Bohne um derart unangenehme Themen wie Umweltverschmutzung scherte, geht es jetzt selbst an den Kragen - die Kundschaft läuft ihr schlichtweg davon.

Der Studienkreis für Tourismus stellte in seiner Reiseanalyse 1988 fest, daß sich die Zahl der Touristen, die am Ferienort Umweltprobleme bemerkten, zwischen 1985 und 1988 von 30 auf 60 Prozent verdoppelt hat! Und „eine feindselige öffentliche Meinung kann sich kein Tourismusunternehmen erlauben“, wie Peter Zimmer vom ADAC formulierte. Er muß es wissen.

Angesichts eines Nachfragepotentials von 20 Prozent für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland „fördert Umweltengagement die Attraktivität eines Unternehmens“ natürlich ungemein. Umwelt wird zum Verkaufsschlager der Tourismusbranche, was einige Ferienorte sogar dazu verleitet, mit den Umweltproblemen anderer Gebiete (verbotene) vergleichende Werbung zu betreiben. So etwa die Anzeige Kufsteins mit dem Slogan „Das Meer ist tot - unsere Seen leben!“

Mit welchen Maßnahmen wird nun das ramponierte Image repariert? Es werden allerorten Bäume gepflanzt, blaue Fahnen für die saubersten Strände verliehen, allerlei Umweltgütesiegel ersonnen und schon mal die Reisebedingungen auf Umweltschutzpapier gedruckt. Da drängt sich der Verdacht auf, die massiven Probleme sollen nach bewährter Manier mit einem Öko-Dressing zugekleistert werden.

Was in den Workshops in ehrlichem Bemühen um den Umweltschutz erarbeitet wurde, reichte von der Forderung an Reiseveranstalter, eine Umweltkriterienliste für den Einkauf festzulegen und umweltfreundliche Ferienanlagen im selbstverständlich auf Recyclingpapier zu druckenden Katalog besonders herauszustellen, bis zur Forderung an touristische „Leistungsträger“ und Gemeinden, eine Analyse der bestehenden ökologischen Infrastruktur sowie einen umweltorientierten Entwicklungsplan der Ferienregion zu erstellen.

Sachlichere Kataloginformation und eine ökologisch orientierte Information der Gäste durch besonders geschultes Reisebüropersonal und qualifizierte Reiseleiter gehörten ebenso zum umweltbewußten Maßnahmenkatalog wie der Vorschlag, doch mal Urlaub vom Auto zu machen. Sicherlich alles sinnvolle und auch notwendige Maßnahmen aus der großen Öko-Wunschtrommel, aber die Frage bleibt doch, ob dies nicht alles angesichts der riesigen Probleme in den Zielgebieten und einer sich vorerst hauptsächlich im Öko-Sprüche-Klopfen übenden Branche ein, wenn auch ehrenwerter, Tropfen auf den heißen Sand sein würde.

Am Ende der zweitägigen Konferenz, auf der die Umwelt glasklar als „Grundlage unseres Geschäfts“ erkannt wurde, dröhnte wohl jedem der Kopf von einer Überdosis Öko. Da war es erfrischend, daß Martin Lohmann vom Studienkreis für Tourismus während der Podiumsdiskussion seinen Frust abließ: Ihm sei übel nach so viel Öko-Gesülze, denn die angeblich so leicht herzustellende „Allianz für die Zukunft“ von Ökologie und Tourismus sei ein Schwindel: Beide seien prinzipiell unvereinbar, auch der sanfteste Tourismus belaste die Umwelt und sei somit keine Lösung, sondern allenfalls eine Verminderung des Problems. Und überhaupt: „Was bitte ist ökologisches Marketing?“ Die Antwort darauf werden uns die ganzheitlich vernetzten, modernen und weichen TourismusmanagerInnen der Zukunft vorleben müssen.

Rüdiger Kind