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Bannt Mandela blutige Bandenkriege im Natal?

Rivalität und ethnische Spannungen zwischen Anhängern des „Zulu-Chefs“ Buthelezi und Sympathisanten der Anti-Apartheid-Front UDF forderten seit 1986 3.000 Menschenleben /Am Wochenende appeliert Mandela für Frieden  ■  Aus Durban Knut Pedersen

Die Landschaft in der Natalprovinz erinnert mehr an den Erlkönig als an Shaka, den berühmten „Zulukrieger“ aus dem vergangenen Jahrhundert. Sobald die Sonne untergeht ziehen dichte Nebelschwaden über die grünen Hügel, an die sich in langen Reihen kleine, wellblechbedeckte Häuser kletten. Die sternlose Nacht ist kalt, das kniehohe Gras feucht und schnittig. In dicke Wolldecken gehüllt, die Machete fest umklammert, suchen junge Männer den sicheren Weg ins „feindliche Lager“. Für sie geht es um Rache - und sonst nichts. Im Vendettakrieg, der seit vier Jahren die südafrikanische Provinz am Indischen Ozean in Angst und Schrecken hält, wird Nacht um Nacht gerächt. Nur samstags nicht. Am Samstag wird begraben.

Annähernd 3.000 Menschen sind seit 1986 dem Krieg im Natal zum Opfer gefallen - mehr als im libanesischen Bürgerkrieg. In der Woche nach der Freilassung Nelson Mandelas sind allein mehr als 60 Menschen gewaltsam umgekommen. In Mpumalanga, einem riesigen Township inmitten ländlicher Hügel, zeigen die Einwohner auf einen ausgebrannten BMW. „Darin sind am vergangenen Sonntag drei Männer umgekommen. Auf dem Weg von der Kirche nach Hause sind sie von einer Bande Jugendlicher angehalten und erstochen worden. Die haben dann Benzin übers Auto gegoßen und alles angesteckt.“ Die Einwohner Mpumalangas sind überzeugt, daß „damit alles wieder angefangen hat“. Was sie freilich nicht sagen: Die drei Männer im BMW waren führende Mitglieder der Zulu -Organisation „Inkatha“. Und die „Bande Jugendlicher“ gehört zur Anti-Apartheids-Front UDF (United Democratic Front). Zwischen beiden Gruppen kommt es täglich zu tödlichen Auseinandersetzungen.

Am vergangenen Dienstag haben sich in Mpumalanga mehr als 5.000 Anhänger der Zuluorganisation Inkatha versammelt. Feierlich haben sie den „feigen Mord am hellichten Tage“ verurteilt und den „Waffenstillstand“ vom vergangenen November für null und nichtig erklärt. Seiher sind gleichwohl 203 Menschen ermordert worden. Aber erst von nun an wollen sich die Zulus „mit äußerster Entschlossenheit verteidigen“.

Die 5.000 Inkatha-Anhänger wollten gleich nach der Versammlung zur „Unit 3“, dem UDF-Viertel von Mpumalanga, ziehen. Nqobizizwe Nkheli, ein Mitglied des Zentralkomitees von Inkatha, hat die jugendlichen Zulus noch mit Müh und Not zurückgehalten. „Aber ich gebe mich keinen Illusionen hin. Das Töten wird weitergehen, wenn unsere Führer nicht endlich auf höchster Ebene Frieden schließen. Die Jungs in den Townships bringen sich aus Verzweiflung um. Das wird nur aufhören, wenn sie etwas finden, eine Hoffnung, an die sie gemeinsam glauben können“ - Nelson Mandela? „Ja, vielleicht. Aber wenn sich hier am Elend nichts ändert, werden sich auch die Menschen nicht ändern - und der Krieg geht weiter“. Elend im Natal, das bedeutet ungerechte Landverteilung zwischen - weißen - Besitzern riesiger Zuckerrohrplantagen und den in ihr, qua Zulu-Reservat, eingepferchten Afrikanern.

Der Krieg im Natal ist auch „Stammesfehde“ zwischen den in Südafrika zahlenmäßig dominanten Zulus und den Xhosas, die aus der benachbarten Transkei-Region, der Heimat Nelson Mandelas und anderer ANC-Führer, in den Natal einwandern. Jede Nacht entscheidet die ethnische Zugehörigkeit über Leben und Tod in den Bergen des Natal - das ist eine Tatsache. Doch für beide Seiten - und vor allem für die Außenwelt - scheint es erträglicher, das blinde Töten als politischen Gewaltakt zu rationalisieren: die „gemäßigten“ Anhänger des „Renegaten“ Buthelezi und die „radikalen“ Parteigänger der ANC-nahen UDF-Front kämpfen um politische Hegemonie im Natal.

Die Wirklichkeit in den Tonwships sieht anders aus. Einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlers Gavin Woods zufolge, sind im Großraum Pietermaritzburg 95 Prozent aller Befragten unfähig, auch nur eine grobe Unterscheidung zwischen Inkatha und UDF vorzunehmen. In einer Fallstudie, die in Molweni, nahe Durban, durchgeführt wurde, kommen die Politologen Mike Morris und Doug Hindson zu einer vergleichbar erschütternden Feststellung: Rund ein Viertel der Befragten, sowohl auf seiten der Zulus als auch der „Genossen“ von der UDF, sind nicht in der Lage, auch nur einen ihrer politischen Führer beim Namen zu nennen.

In den Townships des Natal wird gemordet und gesühnt, ohne das Opfer oder Täter wüßten, für wen und wofür. Ein Name ist freilich in aller Munde: Nelson Mandela. Er wird in beiden Lagern gleichermaßen als „Vater der Nation“ und „Märtyrer“ geachtet. Zulu-Chef Mangosuthu Buthelezi läßt keine Gelegenheit ungenutzt, um an die guten persönlichen Beziehungen zu erinnern, die er Anfang der fünfziger Jahre mit Nelson Mandela pflegte. Zuzeiten war Buthelezi selbst Mitglied im ANC und in Johannesburg mit Jurastudien beschäftigt. Bis ihm schließlich Mandela und andere junge Führer rieten, doch im Interesse der Organisation seines traditionnellen Amtes als Chef des einflußreichsten Zuluclans zu walten. Eine Entscheidung, die in den Reihen des ANC bitter bereut wird, seitdem es mit Buthelezi 1979 zum Bruch kam.

Mandela, der damals noch immer in Robben Island Steine klopfte, ist von dem bitteren Eklat freilich am wenigsten belastet. Als sein Freund und engster Mitarbeiter Walter Sisulu im vergangenen Oktober freikam, lud ihn Buthelezi sofort zu „Friedensverhandlungen“ ein. Spontan sagte Sisulu zu, aber zu dem Treffen ist es nie gekommen.

Buthelezi behauptet, Sisulu sei zur „Geisel“ der jungen, radikalen Führer der UDF geworden und habe deshalb seine Zusage zurückgenommen. Nach einer Welle neuerlicher Gewaltakte im Natal, Mitte Januar, hat Walter Sisulu dem zambischen Präsidenten Kaunda in Lusaka anvertraut: „Angesichts des Tötens habe ich das Gefühl, meine Arbeit nicht getan zu haben - und tatsächlich habe ich sie nicht getan“.

Walter Sisulu ist seit Donnerstag im Natal. Er hat im besonderen in Mpumalanga versucht, zwischen den feindlichen Lagern zu vermitteln.

Aber die gesamte Provinz wartet auf die Friedensbotschaft, die Nelson Mandela dieses Wochenende auf einer Massenkundgebung in Durban verkünden wird. Sie kann nur dann auf fruchtbaren Boden fallen, wenn die „Ehre“ der Zulu -Krieger und die politischen Ambitionen ihres Chefs Buthelezis versöhnlich aufgehoben werden.

Selbst in politischer Einheit wird es angesichts von Apartheid sowie sozialen und ethnischen Spannungen schwer sein, den Teufelskreis entfesselter Gewalt im Natal zu durchbrechen. Bereits heute ist der Unterschied zwischen „politischen Milizen“ und kriminellen Banden nur schwer auszumachen.

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