: Sind die Nordsee-Retter noch zu retten?
■ Mit einer Nordseeschutz- und Aktionstour protestieren schleswig-holsteinische UmweltschützerInnen gegen Politiker-Untätigkeit
Zwischen Flohmarktständen auf dem Börsenplatz in Wilhelmhaven erzählten am Samstag „de Fischer un sin Fru“ Neptune aus der Nordsee schimpften über die Vergiftung ihres Lebensraums. Mit Straßentheater, Diskussionen in der Theaterkulisse, Informationen im Bus der „Schutzstation Wattenmeer“ und auf dem Segelschiff „Jonas von Friedrichstadt“ informierten UmweltschützerInnen aus Schleswig-Holstein über den Zustand der Nordsee. In der vergangenen Woche waren sie in Brunsbüttel gestartet. Ziel ihrer ökologischen Schiffstour: Den Haag, wo sie während der Internationalen Nordseeschutzkonferenz (INK) am 7. und 8. März gegen die Untätigkeit der PolitikerInnen protestieren wollen.
„Der Ärger der Neptune ist voll berechtigt“, meint Lothar
Koch von der Schutzstation Wattenmeer. Trotz der dramatischen Veränderung der Tier-und Pflanzenwelt in der Nordsee und ihren Küstenregionen werde dieses fischreiche Meer mit einmaligen Naturlandschaften immer weiter vergiftet. Die bisherigen Nordseeschutzkonferenzen hätten nur Absichtserklärungen der UmweltministerInnen erbracht. Ernsthafte Schritte gegen die Nordseeverschmutzung gebe es nicht, nicht mal erste Schritte seien zu erkennen.
So ist zum Beispiel die bis 1995 ins Auge gefaßte Halbierung der Gift- und Schadstoffeinleitungen bisher nicht ernsthaft in Angriff genommen worden. Und kontrollierbar ist dies ebenfalls nicht: Die Einleitungswerte für 1985, die als Grundlage für die Halbierung angenommen werden, sind
bis heute weitgehend unbekannt.
Auch in die dritte INK setzen die UmweltschützerInnen keine großen Hoffnungen. Die von den StaatssekretärInnen bereits verabschiedete Abschlußerklärung ist für sie „ein Gebäude, das nur aus Hintertreppen und Falltürchen“ besteht. Florian Liedl, Sprecher des Arbeitskreises „Meer und Küste“ im BUND: „Es gibt keine einzige ernstzunehmende Maßnahme gegen die Nordseevergiftung. Alle Vereinbarungen sind unter den Vorbehalt der jeweils verfügbaren technischen und ökonomischen Möglichkeiten gestellt. Und wer sich die nicht schafft, braucht auch nichts zu tun“, folgert Liedel.
Deswegen müßten die UmweltministerInnen auf ihrer dritten Nordseeschutzkonferenz heftig unter Druck gesetzt werden.
Die UmweltschützerInnen sind allerdings skeptisch, ob selbst durch massive Proteste noch wesentliche Veränderungen der Den Haager Ergebnisse erzielt werden können. Trotzdem wollen sie alle Möglichkeiten nutzen. Und die gibt es nicht nur auf der offiziellen MinisterInnenebene in Den Haag, sondern gerade auch vor Ort, bei regionalen Aspekten der Nordseevergiftung, wie etwa in Wilhelmshaven.
Dort hatte die Stadt vor drei Jahren ein Gutachten über den ökologischen Zustand des Jadebusens in Auftrag gegeben. Obwohl das Ergebnis bereits seit über einem Jahr vorliegen soll, ist es erst in den vergangenen Wochen bekanntgeworden. Die ungewohnte Zurückhaltung der Stadt bei der Veröffentlichung ist für Hannes Klöpper, Sprecher der
örtlichen Bürgerinitiative, nur mit den möglichen Auswirkungen erklärbar: „Die Untersuchung macht deutlich, daß der Jadebusen keine weiteren Belastungen verkraften kann. Das muß zwingend Auswirkungen haben, in erster Linie auf die Landwirtschaft und die Ansiedlung weiterer Industrie, auch in Wilhelmshaven.“ Damit diese Erkenntnisse aber auch Grundlage für die konkrete Politik in der Stadt am Jadebusen werden, seien wohl noch erhebliche Anstrengungen der örtlichen Naturschutzgruppen notwendig.
Diesen regionalen Ansätzen messen die UmweltschützerInnen aus Schleswig-Holstein auf ihrer Tour besondere Bedeutung zu. Auch an den nächsten beiden Stationen - vor der Fahrt durch das niederländische Kanalsystem
sollen noch Norderney und Emden angelaufen werden - gibt es eine enge inhaltliche Zusammenarbeit mit den örtlichen Initiativen. So stehen insbesondere die Müllverbrennung an Land und auf See und gigantische Eingriffe in die Natur, wie etwa die Planungen für den Dollarthafen, auf dem Programm der nächsten Tage.
Und da setzen die Veranstalter der Nordseeschutztour auf das Interesse der Einheimischen. „Wir wollen an der direkten Betroffenheit ansetzen und noch mehr Menschen mit den ökologischen Probleme der Nordsee konfrontieren. Wirwollen Impulse für ein ökologisch bewußtes Handeln und politisch engagiertes Eintreten zu geben,“ sagt Thomas Bönmdel vom beteiligten alternativen Bildungswerk „anderes lernen“.
Heino Schomaker
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