: CARNE VALE
■ Unmaßgeblicher, aber strenger Beitrag zum „Fleisch, leb wohl„-Veranstaltungswesen
Huan, die Auflösung:
Zur Überwindung des trennenden Egoismus der Menschen bedarf es der religiösen Kräfte. Die gemeinsame Feier der großen Opferfeste und Gottesdienste, die zugleich den Zusammenhang und die soziale Gliederung von Familie und Staat zum Ausdruck brachten, war das Mittel, das die großen Herrscher anwandten, um die Herzen in gemeinsamer Wallung des Gefühls durch heilige Musik und Pracht der Zeremonien zum Bewußtsein des gemeinsamen Ursprungs aller Wesen zu bringen, wodurch die Trennung überwunden, die Erstarrung aufgelöst wurde.(I -Ging)
Elias Canetti betont in seinem Masse und Macht die Ordnung der Zeit als das „vornehmste Attribut aller Herrschaft“, als eine diskrete Methode, größere Einheiten von Menschen dezentral zusammenzufassen. Er hebt des weiteren die Dauer der geregelten Überlieferung hervor, die der Kalender & entsprechende Gemeinschaft sicherstellen. „Sie (die Zivilisationen) zerfallen, wenn niemand diese (Überlieferung) weiterführt.“ Um von der für die Herrschaft notwendigen Schaffung & Bewahrung von die Zeitlichkeit transzendierenden Stellen im Kalender zu sprechen, von Festen, von Karneval.
Irrelevant ist die Erinnerung an Ursprünge in heidnischen Festen, die sich im tiefen Winter dem Austreiben seiner Dämonen mit Lärm & Lust verschrieben. Wesentlich ist nur noch die in den Kalender eingeschriebene Kerbe: Einmal im Jahr erlaubt sich der funktionalistische Kapitalismus sein Anderes - die Verschwendung libidinöser Energien -, um die eigene eherne Regelhaftigkeit erneut zu bestätigen. „Es ist ein Überfluß an Weibern da für die Männer & ein Überfluß an Männern für die Weiber. Nichts & niemand droht, nichts treibt in die Flucht. Viele Verbote & Trennungen sind aufgehoben, ganz ungewohnte Annäherungen werden erlaubt & begünstigt. (...) Das Fest ist das Ziel, & man hat es erreicht. Nur alle zusammen können sich von ihren Distanzen befreien. Genau das ist es, was in der Masse geschieht. In der Entladung werden die Trennungen abgeworfen, & alle fühlen sich gleich. In dieser Dichte, da kaum Platz zwischen ihnen ist, da Körper sich an Körper preßt, ist einer dem anderen so nahe wie sich selbst. Ungeheuer ist die Erleichterung darüber.“ (Canetti)
Wie sich die Zeit während der tollen Tage verwandelt, verkehrt - um danach wieder Regel zu sein -, so verwandeln sich auch die Teilnehmer. Der gute Deutsche, Richy Weizsäcker, wies einmal im Zusammenhang mit Vermummungsverbot & Autonomen darauf hin, daß eine Maske zu tragen heiße, sich Autorität anzumaßen, die der Maske, nicht aber dem Träger derselben zukomme. Sie verbreitet eine Furcht des Ungewissen & Geheimen. Ein anderes Moment der Karnevalsverkleidung ist das des Transitorischen, Wechselhaften: die Larve.
Beide Arten der Maske tauchen während des Karnevals auf: Das Volk setzt sich schon mal Gasmasken aufs Gesicht vermeintlich, um auf Chemieunfälle aufmerksam zu machen oder stülpt sich einen Politikerschädel über den eigenen vermeintlich, um in jener Rolle dessen Garstigkeit auszustellen - oder versucht sich an Nachstellungen des Bösen, Anderen der gesellschaftlichen Ordnung: bestrapste Teufelchen, dämliche Vampire, fremde Matrosen. 1989 kam es im sauerländischen Hagen zu einem Zwischenfall, als ein Freddy-„Nightmare-on-Elmstreet„-Darsteller den reglementierten Ausnahmezustand von Karneval verkannte & mit seinen Eisenklauen ins wirkliche Leben eingriff: er säbelte an deren Körpern herum.
Zu Festen gehören Opfer, doch ist Deutschland nicht Brasilien, & so fließen hier bedeutend weniger Blut & Sexualflüssigkeit. Girard macht in seinem Das Heilige und die Gewalt eine „Opferkrise“ in den modernen Industrienationen aus & konstatiert ein daraus resultierendes Wiederauftauchen des Opfers, der Gewalt; nicht in den dafür bestimmten Riten, sondern überall & permanent in der Gesellschaft. Eher ein Zufall also war wohl das Zusammentreffen von Opfer & Fest zu Silvester am Brandenburger Tor, die Regel sind die gezähmten Feste - „Die Deutschen können nicht feiern“ - ohne Opfer. Die von alkoholisierten Autofahrern veranstalteten Blutopfer haben eben mehr mit dem Fahrzeug als Instrument der kollektiv gestatteten Gewalt als mit Karneval zu tun. & auch die alkoholbedingten Karnevalsschlägereien sind nur eine lahme Simulaton früherer Ekstasen.
Um dem Spektakel noch den letzten Rest Gefährdung, Reiz zu nehmen, hat die Sozial- und Gesundheitspolizei vor dem erhöhten Risiko einer Aids-Infizierung gewarnt. Womit dem Karneval nun weder die Funktion einer Reminiszenz an kathartische Fruchtbarkeitsriten, noch die der sexuellen Auf - und Entladung unter befristet Gleichen zukommt. Das ganze „rebellische Getue“ in den „tollen Tagen“ weist vielmehr bereits im Inneren die soziale Fesselung auf: Nicht der reale Bruch in Zeit, Ordnung & Verhalten legitimiert durch sich das ansonsten Andauernde von Zeit, Ordnung & Verhalten; der Bruch wird nur simuliert, das ganze Geschehen ins Übliche des Alltags übersetzt. Nix Verkehrung der Ordnung. Zombies setzen sich eine Narrenkappe auf & machen das, was sie immer tun: Geld ausgeben, Geld einnehmen.
R. Stoert/He.Lau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen