piwik no script img

„Wie die Mädchen...“

■ Rugby-Bundesliga zwischen Karneval und Patriarchat / Berliner RC nach Niederlage gegen Linden im Abstiegsstrudel / „The one and only Kampfspiel“

Berlins wahre Jecken drängten am Faschingssonntag in die Jungfernheide. 30 erwachsene Männer mit teils furchterregenden Gestalten trafen sich dort in ihren kunterbunten Ringelhemden. Keiner hatte jedoch eine Pappnase auf, dafür mancher einen Plastikschutz im Mund. Denn Gebiß, Nasenbein, Ober- und Unterkiefer sind durchaus gefährdete Körperpartien bei dieser Sportart: Rugby-Bundesligaspiel zwischen Berliner RC und Viktoria Hannover-Linden.

Jeweils 15 Mann pro Team haben nur eins im Sinn - die Lederkugel, ein merkwürdiges, ovales Objekt der Begierde. „Fußball mit Aufheben des Balles“ nannte man im 19.Jahrhundert den engen Wegbegleiter des britischen soccer. Letzterer wurde durch Sympathieträger wie Franz Beckenbauer bei uns berühmt. Warum Rugby stets im Schatten des übermächtigen Bruders stand, wird sofort deutlich: Ein kontrolliertes Schießen oder Fangen des ovalen Ledereis, das per Hand nie steil nach vorne gespielt werden darf, ist kaum möglich. Trotzdem versucht jede Mannschaft, das gute Stück durch die nach oben verlängerten Pfosten der Fußballtore zu treten oder es hinter die Torlinie (Mallinie) zu legen. Der Rest der Taktik besteht aus einem einzigen „Gedränge“. Jedes Team hakt sich unter, um die andersfarbigen Ringelhemdchen aus dem Weg zu schunkeln.

Der Raumgewinn ist minimal - aber die etwa 100 Zuschauer bekunden ihren Spaß an dieser Rauferei. Wer patzt, dem droht vernichtende Kritik: „Wie die Mädchen“, herrscht ein Berliner seinen Mitspieler an. Solche Bemerkungen lassen die Zuschauerinnen kalt. „Das Ganze ist schon ein bißchen albern“, mault eine Blondine, während sich ein Berliner Recke krachend auf den nächsten Gegner wirft.

Die Auseinandersetzung, moniert ein Betreuer der Hannoveraner, leide unter den vielen Verletzungen in seiner Mannschaft. „So wie die auch reinkloppen heute, ist es nur ein Wunder, daß überhaupt noch einer lebt“, kommentiert ein Berliner Zuschauer. Zu guter Letzt behalten die Gäste aus Niedersachsen knapp, aber unverdient, die Oberhand. Der heimische BRC, schwant einem Zuschauer, gerate damit wohl tief in die Abstiegszone. Dafür attestiert ein anwesender Schotte - und damit Fachmann - dem Spiel aus seiner Heimat höchste Qualität: „The one and only Kampfspiel“.

Jürgen Schulz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen