Der Geldmarkt vorm Bahnhof Zoo

■ Vor der Wechselstube am Zoo konzentriert sich der Westberliner Schwarzmarkt für Ostgeld / Die Gewinnspannen für die vorwiegend ausländischen Händler sind klein / Für 20 West-Mark gibt es 100 Ost-Mark

„Wollen Sie Ost-Mark, kaufen Sie bei mir.“ Vor der Wechselstube am Bahnhof Zoo spielen sich jeden Tag die gleichen Szenen ab. Etwa 50 Menschen, an den Samstagen doppelt soviele, beobachten die Passanten, verfolgen ihre Schritte, begleiten sie bis zu den Eingängen in die Bank. „Unser Kurs ist günstiger, egal, was Sie wollen, Ost- oder West-Mark, An- oder Verkauf“.

Ein älteres Ehepaar zeigt Interesse, wird sofort umringt, die Belagerung durch die Schwarzmarkthändler verwirrt sie, das Geschäft droht zu platzen, bevor es überhaupt begonnen hat. Im scheinbaren Chaos beginnt sich eine Ordnung abzuzeichnen. Ein Asiate hat das Heft in der Hand, mit wenigen Worten dirigiert er seine Kollegen zu anderen potentiellen Kaufinteressenten, das Ehepaar bleibt alleine mit einem freundlich aussehenden und mühsam Deutsch sprechenden Chinesen. Der hat einen ganzen Packen Scheine in der Hand, sortiert nach Farben, Ostgeld ist es, und das wird jetzt auch gefragt. Das biedere Paar will offensichtlich in der DDR ein Schnäppchen machen, sie brauchen viele Scheine. „Wieviel Ost-Mark bekomme ich für hundert Mark West“, wird gefragt. Der Chinese braucht den Taschenrechner nicht, den Wechselkurs für glatte Summen hat er im Kopf. „Eins zu fünf steht der Kurs, 500 Ost-Mark für 100 Mark West.“ Das Paar zaudert, vielleicht gibt der Nachbar mehr, vielleicht gelten hier die normalen Basargesetze, je größer das Angebot, desto niedriger der Preis.

Sie wenden sich an den nächsten Verkäufer von Ost-Mark, auch einen Chinesen. Das gleiche Spiel beginnt, aber der Kurs scheint stabil zu sein. Rund um den Zoo kosten 500 Ost -Mark 100 West-Mark, gefeilscht wird nicht, entweder - oder, und damit basta. Nur in der Wechselstube gibt es den normalen Kurs, und der würde für das ankaufende Paar teurer werden. 450 Ost-Mark würden sie dort für ihren blauen Schein bekommen, dazu eine Umtauschquittung, die ihnen im Osten aber nichts nützen dürfte. Die Einfuhr von Devisen ist nicht erlaubt, Westbürger können und müßten, wenn alles legal zugehen soll, ihre Scheine an den staatlichen Wechselstuben zum Kurs von 1:3 tauschen. Soviel „Verlust“ ist ihnen aber das gute Gewissen nicht wert. Für 1.000 West-Mark zahlt ihnen der Händler 5.000 Ost-Mark auf die Hand, viel Geld, der nächste Familienurlaub in Rügen wird billig.

Soviel Geld auf einmal wird aber am Zoo selten getauscht, die meisten Kunden wollen 100 Ost-Mark haben und zahlen 20 West-Mark dafür, in der Bank hätten sie eine Mark mehr blechen müssen. Die Gewinnspannen sind nicht groß, die Händler keine professionellen Schwarzwechsler, sondern Kleinkrämer. Die investierte Zeit bringt den Profit, nicht die Masse. „Die wirklich großen Geschäfte finden woanders statt“, weiß einer, „zum Beispiel an der Frankfurter Börse“. Ost-Mark verkaufende private Händler aus der DDR sind am Zoo die Minderheit, es dominieren die Chinesen und Vietnamesen, die zweitgrößte ethnisch differenzierbare Gruppe sind Araber. Chian ist einer der Chinesen und gehört zu einer Crew. Im Unterschied zu anderen ist er auskunftsfreudig. Er ist Student und hat gerade an der TU sein Vordiplom abgelegt, erzählt er. Einen Job hat er gesucht und nicht gefunden. Sein Kommilitone aus Taiwan handelt schon seit November. Vor drei Wochen haben sie sich zusammengetan, jetzt besteht eine Arbeitsteilung. Einer sondiert das Terrain, achtet auf Zivilstreifen, führt Kunden zu und hält den Kurs stabil, Chain und sechs Freunde besorgen das Geschäft, bilanziert wird am Abend. „Mehr als 50 bis 60 Mark pro Tag ist nicht zu verdienen“, wiegelt er ab, „aber Geld verdienen ist nicht alles, die Sache macht auch Spaß“, sagt er.

Der Polizei am Zoo ist der Handel bekannt. Grund zum Eingreifen findet sie selten. „Wir unterscheiden private und gewerbsmäßige Händler, und die letzeren nehmen wir fest“, versichert der diensthabende Wachtmeister, „aber hoch hängen wollen wir die Sache nicht. Die Währungsunion steht vor der Tür und verglichen mit der wirklichen Kriminalität ist dieses bißchen Handel und Wandel ein Klacks.“

aku