piwik no script img

Deutsch-deutsch ist eine neue, schwierihe Sprache

■ Auszüge aus der von Anna Jonas auf dieser Seite besprochenen Veranstaltung

Hans-Christoph Buch: Es gab zwei Stichworte in der Diskussion - Modernisierung und Innovation - die ich aufgreifen möchte. Modernisierung in Bezug auf die DDR bedeutet zunächst mal Modernisierung der materiellen Infrastruktur und das heißt: die Einführung des Kapitalismus. Und das weckt Ängste und Hoffnungen. Ich glaube, daß beide übertrieben sind. Die Ängste lauten kurz gefaßt: Ausverkauf der DDR. Die Hoffnungen gehen dahin, daß dort heute oder morgen schon dieselben Verhältnisse herrschen, wie bei uns. Beides ist gleich falsch.

Welche Innovationen erhofft sich die Bundesrepublik von diesem Zusammenschluß? Ich hoffe, daß unsere verkrustete Parteiendemokratie ein Stückchen von der Graswurzel -Demokratie in der DDR in sich aufnimmt und daß sie lernt, von dem, was die Menschen dort im Widerstand gegen den Apparat geschaffen haben.

Das ist ja alles nicht auf dem Mist unserer Parteien gewachsen, die jetzt absahnen und die DDR-Oppositionellen in die Tasche stecken wollen, als wären sie Marionetten auf dem Schachbrett des Kalten Krieges gewesen. Das, was dort an Widerstand und an Gegenkultur entstanden ist, hat seine eigenen Wurzeln.

Helga Schütz: Die Einheit ist beschlossen, und das ist auch gut so. Aber es kann nicht heißen: Einheit statt Vielheit. Ich erlebe jetzt an der Basis eben diese Vielheit, die Entstehung von unendlich vielen Interessengruppen.

Aber für mich ist etwas ganz Entscheidendes, daß wir uns entmilitarisieren, daß wir die NVA auflösen.

Manfred Bierwisch: In allen Bereichen der Gesellschaft sind Strukturen entstanden, mit denen sich so nicht mehr weiterleben läßt. Es sind Karrieren entstanden, die so nicht mehr glaubwürdig sind und die können nicht bleiben. Egal ob innerhalb eines vereinten oder eines separaten Staates. Dafür gibt es aber keine praktikablen Verfahren. Es ist mit Sicherheit auch ein literarisches Thema: Also, was kommt jetzt nach dem, was wir hinter uns haben? Ich denke das hat sein Pendant auch in der Bundesrepublik.

Dieter Wellershof : Zur Literaturentwicklung keine Prognosen. Aber sicher ist, daß die DDR-Literatur einen Themenverlust erleiden wird. Die Literatur war reaktiv auf das Gesellschaftssystem, in dem sie gelebt hat und wenn das Gesellschaftssystem so verschwindet oder sich grundsätzlich ändert, dann wird ein Themenverlust eintreten.

Ein Themenverlust ist keine kleine Sache, das ist in die Lebensgeschichte der Menschen als ein Teil der Identität mit eingegangen, ein Thema, eine Sichtweise - das ist eigentlich das Kostbarste, was ein Schriftsteller hat. Der Verlust kann ein Gewinn sein, aber ich glaube, das ist eher für junge Leute ein Gewinn.

Heinz Czechowski: Ich habe eine ganze Menge DDR-Stoff, den ich nicht für veraltet halte, aufzuarbeiten. Meine Kindheit, Bombenangriff auf Dresden, Nachkriegszeit, Stalinismus. Das ist alles nicht veraltet. Jetzt kann ich ohne Rücksichten und mit dem Zugang zu bestimmten Quellen an diese Themen gehen. Ich habe mir z.B. immer gewünscht, Feuilletons zu schreiben und mich aktuell und spontan zu äußern, das war in der DDR eben nicht möglich in der Presse. Wir waren unerwünscht, wir kritischen Autoren.

Dieter Wellershof: Für mich ist nachträglich gesehen die Zeit, wo alles zerfallen war, was an Orientierungsmustern war, eine ungeheuer befreiende und tolle Zeit gewesen, 45 bis 47 vielleicht, da wurde die Welt völlig neu entdeckt und das war vielleicht verwirrend, aber es war vor allen Dingen belebend und ich hoffe, das in der jetzigen Situation auch so ein Element drin steckt.

Hartmut Lange: Eine Wand wird ganz sicher fallen, die fällt schon, es ist die der Sklavensprache. Wir hatten ja früher immer die Vorstellung von einem aufgeklärten Absolutismus, in dem man zwar alles sagen kann, aber alles in einer Sklavensprache und die Metaphertechnik im Drama und in der Prosa - das ist natürlich eine Bereicherung der Form, der Struktur, die ja eine Tradition in der DDR hat, besonders in der Dramatik - das wird fallen. Das wird wahrscheinlich ein Verlust sein.

Hans-Christoph Buch: Wir werden leider keine existenzielle Befreiung bekommen - Schädlich sprach vom „weißen Papier“ mit dem der Autor es zu tun habe, wenn endlich die Mauer vor den Augen wegfällt. Ich fürchte, wir werden etwas anderes bekommen, nämlich eine weiterhin politisch und ideologisch geprägte Aufarbeitung der Vergangenheit. In China nennt man das die Wunden-und-Narben-Literatur.

Wir werden jetzt ein Jahrzehnt Wunden-und-Narben-Literatur bekommen. Wir reden im Moment nur über die letzten Wochen und Monate in der DDR oder höchstens über die letzten fünf Jahre, es geht aber um mehr als vierzig Jahre mit komplizierten politischen Prozessen, mit tausenden politischen Gefangenen, zweihundert Toten allein an der Mauer. Das ist das Erbe, das literarisch auf uns zukommen wird.

Monika Maron: Ich denke auch, es wird so eine Art Abrechnungsliteratur geben, natürlich, und sie wird eindeutig politisch sein so wie Hans-Christoph Buch das eben beschrieb.

Ich weiß nicht, ob das in jedem Fall eine Verarmung sein muß, ob es eine Einseitigkeit geben wird, ich glaube, es wird etwas hinzukommen und es wird natürlich auch diesen Verlust geben, bei einer ganz bestimmten Sorte von Literatur und da finde ich es dann auch nicht schlimm.

Hans-Christoph Buch: Hartmut Lange sprach von der Sklavensprache, d.h., der Reiz der Literatur aus der DDR bestand in ihrem Anspielungsreichtum in der politischen, subversiven Botschaft, die nur für Kenner entschlüsselbar war. Das alles ist von einem auf den anderen Tag anachronistisch geworden. Die Theater sind halbleer, in den Buchhandlungen drängen sich nur noch Westler, die DDR-Bürger stehen stattdessen nach Zeitungen Schlange, weil viel interessanter ist, was da drin steht.

Ich bin mir nicht so sicher, daß die DDR-Literatur jetzt einer neuen Blüte entgegengeht. Sie hatte sich eingerichtet in ihrer Sklavensprache. Ihre Chance ist jetzt, das Verdrängte aufzuarbeiten. Das erfordert aber eine ganz andere Sprache, vielleicht auch ganz andere Schriftsteller, als wir sie bisher hatten, denn die haben alle - mehr oder minder - an der Macht partizipiert.

Heinz Czechowski: Mit der „Sklavensprache“ habe ich meine Schwierigkeiten. Wenn ich die Lyrik sehe, das Umfeld der Lyrik, dann muß ich sagen, da ist vieles sehr direkt benannt worden, immer schon. Von Biermann '68 angefangen bis heute gibt es eine Lyrik, die sich doch einer sehr direkten, konkreten Sprache bedient und die weniger Sklavensprache ist. Wovor ich Angst hätte, wäre, in Ableitung des Begriffs Narben-und-Wunden-Literatur, eine Klagemauer-Literatur, eine Literatur der Larmoyanz. Die Gefahr ist, daß es in diese Richtung geht. Ich plädiere für das Aufarbeiten bestimmter Ereignisse und Fakten, für eine weitgehend objektivierte Darstellung.

Diese neue Situation, das ist meine große Hoffnung, wird sehr viel Innovation freisetzen, was die Formen angeht.

Ich glaube nicht, daß es so einsträngig weiterläuft, wir haben ja wenig neue Formen entwickelt in der DDR. Formal sind wir im 19. Jahrhundert stehen geblieben. Sicher, die Jungen haben die Postmoderne entdeckt und für sich weitgehend ausgeschlachtet. Ich sehe da wenig Perspektiven. Nicht in der Nachahmung einer Moderne als Postmoderne würde ich die Zukunft der Lyrik sehen, sondern in für mich jetzt nicht beschreibbaren Formen, die wahrscheinlich aus dem neuen Freiheitsgefühl, aus der Befreiung von bestimmten Zwängen, auch natürlich dem der Sklavensprache oder des vermittelten Sprechens kommen.

Monika Maron: Ich möcht mal was sagen: Wir werden die Einheit haben und trotzdem gehen wir davon aus, daß die DDR die DDR und die Bundesrepublik die Bundesrepublik bleibt. Das ist doch nur komisch. Möglicherweise ziehen ja die Bayern dann nach Mecklenburg und umgekehrt... Was sind die dann?

Sie sind dann auch keine DDR-Schriftsteller mehr. Es gibt dann keine DDR-Biographie und keine DDR-Literatur mehr.

Hartmut Lange: ....Nehmen wir mal an, man schreibt jetzt eine Erzählung über die Psycho-Nöte eines Buchhändlers, der eine Watt-Wanderung machen will und nicht weiß, warum - das ist eine Literatur, die in Paris sofort verstanden wird. Während eine Literatur, die sich mit dem Faschismus hier beschäftigt, in Frankreich als spezifisch deutsch angesehen wird. Da muß ich auch sagen, ist mir das erste Mal aufgegangen, wie kosmopolitisch eigentlich Literatur sein muß. Wir können die Mark Brandenburg beschreiben, ganz konkret, aber sie kann in Madrid konsumiert werden. Die Sklavensprache aber war eine Binnenliteratur, wie die DDR -Mark eine Binnenwährung ist, die wurde z.B. in Paris schon nicht mehr verstanden. Sie wurde ja schon fast bei uns nicht mehr verstanden. Es war sozusagen wirklich eine Sklavensprache für die DDR.

Oder - ein Fall, wie Stritmatter. Der kreierte ein Gemisch aus blühenden Obstbäumen und Parteidirektiven, das wurde linkselbisch schon nicht mehr verstanden. Der eigentliche Befreiungsakt für die DDR ist die Abschaffung der Kulturpolitik.

Hans-Christoph Buch: Ich habe auch schon Angst vor einem deutschen Provinzialismus. Die DDR ist ein zutiefst provinzielles Land, im Gegensatz zu dem, was die Linke hier immer über die DDR verbreitet hat. Umgekehrt ist die Bundesrepublik auch provinziell, z.B. hat auf unserer Tagung kein einziger westdeutscher Autor einen einzigen osteuropäischen Namen richtig aussprechen können. Wenn das beides jetzt zusammenkommt.. das macht mir Angst...

Heinz Czechowski: Ich würde den Stempel des Provinziellen nicht zu schnell annehmen... Die Frage ist, wie die Literatur diese Provinz bewältigt und inwieweit sie sie welthaltig macht und inwieweit die Dinge übertragbar werden, das ist natürlich eine Frage der Form. Das ist eine Frage der Erzählhaltung des Autors und der Genauigkeit der Beschreibung. Was die Sklavensprache angeht - nur illustrativ gesagt - ich war zu einem Symposium in England, über DDR-Lyrik, und dort sind vorwiegend Gedichte behandelt und sehr gut interpretiert worden, die versteckte Dinge zum Ausdruck brachten, also die in gewisser Weise Sklavensprache hatten.

Monika Maron: Seit die Mauer weg ist, höre ich ständig von bundesdeutschen Schriftstellern gegenüber DDR -Schriftstellern den Vorwurf der Provinzialität. Vorher war es der DDR-Bonus, den die DDR-Autoren hatten und mit dem man vieles erklären konnte, nun plötzlich sind sie provinziell. Das ist also der Vorteil, der bleibt - die Weltläufigkeit der bundesdeutschen Autoren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen