: Henning Scherf: Nicht von Nicaragua abwenden
■ Interview zur Wahlniederlage der Sandinisten / „Schlechter kann es nicht werden“
Bremens Bürgermeister Henning Scherf, Mitglied im Bundesvorstand der SPD, war vor einigen Jahren selbst einmal zum Arbeitseinsatz in Nicaragua. Gestern bewertete er die neuentstandene Situation für das mittelamerikanische Land und die bundesdeutsche Solidaritätsbewegung.
Die Solidaritätsbewegung mit Nicaragua ist schockiert über die Wahlniederlage der Sandinisten. Ist das Modell eines selbstbestimmten eigenenständigen Entwicklungsweges für die Dritte Welt, aber auch für die Linke in aller Welt erst einmal gestorben?
Henning Scherf: Nein. Es ist eine schwierige Phase, wenn eine Befreiungsbewegung, die zehn Jahre regiert hat, jetzt in der Opposition ihre politische Arbeit fortsetzen muß. Aber es gibt in Nicaragua so viel Anlaß, sich auf eine konstruktive Oppositionsarbeit einzurichten: in den Gemeinden, Gewerkschaften arbeiten und das Land endlich wieder aufbauen. Ich bin sicher, daß die vielen Freunde sich nicht vom Land abwenden.
Ist nur die US-Politik für die Wahlniederlage der Sandinisten verantwortlich, oder hat die Regierung dort auch Fehler gemacht?
Eine große Reihe von Fehlern, die sie aber fast alle selber öffentlich kritisiert haben: Das Minderheitenproblem mit den Miskitos, die steckengebliebene Alphabetisierungs-und Gesundheits- kampagne, die militärische Aufrüstung des Landes aus der Not heraus.
Sehen Sie jetzt die sozialen Errungenschaften, wie Agrarreform, Bildungsreform, Gesundheitsreform, in Gefahr unter einer uno-Regierung?
Das hängt mehr von den Leuten, als von der Regierung ab. Entscheidend ist, daß die Menschen die Karft entwickeln, auf dem Land zu überleben. Die Zukunft dieser ganzen Länder entscheidet sich auf dem Land, nicht in den Metropolen, diesen alptraumähnlichen Untergangsstädten.
Aber gerade auf dem Land will die Uno die Genossenschaften auflösen und das Land teilweise an in den USA lebende Großgrundbesitzer zurückgeben...
In Nicaragua gibt es viel zu viel Land und viel zu wenig Leute. Die Eigentumsfrage ist nicht die Hauptfrage Nicaraguas. Die Hauptfrage ist, daß man Menschen hat, die das Land beackern. Das Land ist weitgehend entvölkert. Es ist völlig egal, ob ein Großgrundbesitzer darüber sitzt oder nicht. Man muß die Leute halten - das ist das Überlebensproblem.
Wie schätzen Sie die Qualitäten der künftigen Regierungschefin Chamorras und der Uno ein?
Sie selbst ist eine überforderte Frau, die instrumentalisiert worden ist, und das Oppositionsbündnis ist überhaupt nicht darauf ein
gerichtet, die Regierung zu übernehmen. Es wird davon abhängen, was die Amerikaner wirklich an Geld beisteuern, wenn sie Nicaragua so wie Honduras behandeln, dann ist es in kurzer Zeit wieder vorbei.
Bedeutet der von der Uno angestrebte rigide wirtschaftsliberale Kurs nicht stärkere Verelendung breiter Massen?
Die Massen sind so verelendet, daß man sie gar nicht weiter verelenden kann. Außer Sterben haben die keine Alternative. Man kann es nicht schlechter machen. Man kann es nur besser machen. Darauf hoffen, glaube ich, die, die Uno gewählt haben. Und das wird sehr teuer, da muß man sehr viel Geld haben, sehr viel Geld besorgen. Wenn die Uno es nicht schafft, Geld für den Aufbau des Landes zu besorgen, wird die Loyalität in kürzester Zeit wieder verloren haben.
Wird die SPD die Solidaritätsarbeit fortsetzten?
Ich bin sehr dafür, daß die Projekte weitergeführt werden und daß die vielen über Jahre aufgebauten Loyalitäten erhalten bleiben und jetzt gerade, wo es schwierig geworden ist, weiter gepflegt werden. Ich bin an den Menschen interessiert und auch an dem Beispiel, das dieses Land für andere Länder gesetzt hat - da kann man sich nach einer verlorenen Wahl nicht abwenden.
Interview: Jutta Redmann/P.P.P.
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