: Systemtechnik Nord: Politik am Ende - Beten
■ Wiedervereinigung macht Rüstungsunternehmen zu Ladenhütern / Wedemeier hofft noch, Grüne meinen grundlos
Beschäftigte in der Bremer Rüstungs- und Raumfahrt-Industrie tun vermutlich gut daran, sich schleunigst nach anderen Arbeitsplätzen umzusehen. Nach der Daimler-MBB-Fusion sind unter dem neuen Konzerngiganten „Deutsche Aerospace AG“ (Dasa) Zeiten angebrochen, in nur noch Wünschen hilft. An die „Systemtechnik Nord“, im Herbst noch hochgelobtes Projekt zur Rettung von 1.000 MBB-Arbeitsplätzen der Marine -und Sondertechnik, glauben Bremens Politiker anscheinend selbst nicht mehr.
Mehr als eine beschwörende Erinnerung der Daimler-Manager, ihre vor der Fusion gegebenen Zusagen nun doch bitte, bitte auch einzuhalten, fiel gestern weder SPD noch FDP und CDU ein. Gemeinsam - ohne die Stimmen
der Grünen - entschlossen sich alle Fraktionen zu dem Appell an den Daimler-Konzern auf der einen, die Systemtechnik-Nord -Gesellschafter auf der anderen Seite, bei der fälligen Neuordnung der Luft- und Raumfahrt-Industrie in der BRD „die in den Ländern gewachsenen Strukturen“ doch bitte zu berücksichtigen. Mehr als ein Beleg für die Ohnmacht der Politik gegenüber den Konzernen war die Entschließung nicht. Schließlich wiederholte sie lediglich wörtlich, was Daimler im Herbst 89 noch selbst unterschrieben und inzwischen längst aufgekündigt hat.
Die „Systemtechnik Nord“ war eine Erfindung der vier norddeutschen Ministerpräsidenten unter maßgeblicher Beteiligung von Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier, um jene Un
ternehmensbereiche der Dasa aufzufangen, deren Herauslösung aus dem Konzerngiganten Bundeswirtschaftsminister Haussmann bei der Fusionsgenehmigung zur Auflage gemacht hatte. In Bremen betroffen: Der MBB-Unternehmensbereich Marine- und Sondertechnik. Die in der Dasa per Ministererlaß heimatlos gewordenen Unternehmensbereiche sollten von einem Konsortium aus Bremer Vulkan, Salzgitter AG/Howaldtswerke AG, Krupp Atlas dem französischen Matrakonzern und mehreren kleineren Werften aufgekauft und zu einem neuen, konkurrenzfähigen Unternehmen, der Systemtechnik-Nord, zusammengefaßt werden. Im Februar platzen die Verkaufsverhandlungen an den unterschiedlichen Preisvorstellungen von Verkäuferin Dasa
und Käufer-Konsortium. Die Dasa fühlte sich an frühere Zusagen nicht mehr gebunden.
Auch unabhängig vom Preispoker haben sich die Rahmenbedingungen für den Unternehmens-Deal drastisch verändert, wie der grüne Abgeordnete Manfred Schramm gestern auch den angestrengt zweckoptimitischen Abgeordneten von SPD, FDP und CDU vorrechnete: Seit dem 9. November ist selbst in Bonner Kabinettskreisen Rüstung out. Erstens weil Projekte wie der Jäger 90 selbst bei Christdemokratens kaum noch zu rechtfertigen sind, zweitens weil auch Wiedervereinigen Geld kostet. Das wiederum verdirbt einerseits die Zahlungsmoral bei den Gesellschaftern der Systemtechnik- Nord und zwingt andererseits die Dasa zu hektischen Umdisponie
rungen innerhalb des gerade zusammengekauften Rüstungskonzerns. Ergebnis: High-tech-Betriebe wie MBB/Marinetechnik werden zu Ladenhütern. Selbst die halbwegs zivile MBB-Raumfahrt-Tochter Erno muß zittern: Die Eroberung der DDR könnte Bunderegierung und bundesdeutschen Unternehmen wichtiger werden als die Eroberung des Alls durch Erno-Raketen.
In der gestrigen Bürgerschaftsdebatte konnte selbst Bürgermeister Klaus Wedemeier nur verraten, wie die Lösung nicht aussehen kann: Indem der Bremer Vulkan die Systemtechnik-Nord-Idee im Alleingang als alleiniger Gesellschafter rettet. Wedemeiers Strohhalm: Die Verkaufs -Verhandlungen sind „zwar abgebrochen, aber weitergeredet wird noch.“
K.S.
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