: Ein Wunder in Kleinmachnow
■ Warum ein Ehepaar aus dem Ostberliner Villenvorort von zwei „Wessis“ ein Haus geschenkt bekam
Viele MieterInnen bangen in der DDR zur Zeit um ihre Bleibe. Die Angst vor „Wessis“, die Ansprüche auf Grundstücke und Gebäude geltend machen wollen, ist groß.
Daß es auch anders geht, zeigt folgende Geschichte: Im Jahre 1986 brachte der Briefträger ein Schreiben zum Schleusenweg 44 in den Ostberliner Villenvorort Kleinmachnow. Absender war eine gewisse Ursula Jacobson aus Norwegen, Eigentümerin des Hauses. Das junge Paar, ein Handwerker und eine Verkäuferin, die seit 1980 dort zur Miete wohnten, glaubten ihren Augen nicht zu trauen: Im Brief stand drin, daß die Eigentümer beschlossen hätten, den Müllers (Name geändert) das Haus samt 1.000 qm Grundstück schlicht und ergreifend zu schenken.
„Die dachten, wir haben 'ne Macke“, sagte Frau Jacobson gestern, einen Tag nach dem Ende des langen Papierkriegs mit den Behörden. Die geborene Berlinerin, vor einigen Jahren nach Norwegen gegangen, weiter: „Wir haben schon seit langem versucht, etwas Positives mit dem Haus zu machen, anstatt es einem ungewissen Schicksal zu überlassen.“ Es gab da verschiedene Möglichkeiten, wie z.B. die, das Haus an den Staat zu verkaufen. Dies wurde nicht in Betracht gezogen, weil das 1935 gebaute Haus einen ostdeutschen Schätzpreis hatte, der in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Wert stand. „Außerdem hätten wir keine Kontrolle darüber gehabt, wer dann in den Genuß eines günstigen Grundstückkaufs gekommen wäre. Womöglich so ein Bonze, von denen wimmelte es hier ja sowieso.“
Also ließ Frau Jacobson herausfinden, wer denn das Haus ihrer Großeltern derzeit bewohnte, und erfuhr, daß die Müllers schon viel Arbeit, Fleiß und Liebe in die Mauern gesteckt hatten. Sowas mußte belohnt werden, befand sie. „Leute wie die Müllers arbeiten schwer in jeder Art von Gesellschaft und haben unterm Strich doch meistens das Nachsehen. Diesmal sollte das nicht so sein.“ Außerdem wollte sie demonstrativ den Gegenweg zum derzeit populären „run“ auf DDR-Grundstücke gehen. Jede noch so kleine Geste, die dem politischen wie ökonomischen Trend zur Vereinnahmung der DDR durch die BRD zuwiderliefe, sei notwendig, um den Ruf der Deutschen im Ausland nicht wieder total zu ruinieren.
Sie berichtet auch, wie sich die Müllers gefreut haben, als sie gestern die Schenkung feierten, und sich beide Seiten zum erstenmal gegenüberstanden. „Das ist einfach ein wahnsinnig schönes Gefühl, so viel Freude verbreiten zu können.“
Na bitte, wäre das nicht ein Patentrezept für alle diejenigen, die nicht genau wissen, wie sie sich durch den unvermeidlichen Papierkrieg einer Wiederinbesitznahme östlicher Immobilien hindurchkämpfen sollten?
Heidi Harnack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen