: Solidarische Streikbrecher
■ Eltern im Dilemma / Ein KiTa-Notdienst in den Bezirken muß sein, aber wer übernimmt die Betreuung, und wo soll sie stattfinden? / Wenn Eltern sich um Kinder in einer bestreikten Kindertagesstätte kümmern, werden sie von den ErzieherInnen zu Streikbrechern erklärt
Früher waren die Verhältnisse klarer. Streikbrecher sind böse, Büttel der Herrschenden und dazu da, den gerechten Kampf der Arbeiterklasse um Lohn und Emanzipation zu untergraben. Jetzt beim KiTa- Streik sind die Fronten verwirrend. Sind Eltern, die in bestreikten Bezirkseinrichtungen einen selbstorganisierten Notdienst aufrechterhalten, Streikbrecher oder nicht? Beispiel Charlottenburg:
Die KiTa einschließlich Hort in der Goethestraße wird seit sieben Wochen bestreikt. Die ersten vier Wochen behalfen sich die Eltern mit Provisorien, die Kinder wurden abwechselnd in verschiedenen Privatwohnungen betreut. Irgendwann ging das aber nicht mehr, die Wohnungen waren zu klein, die Kindergruppen zu groß, viele Eltern obendrein unzuverlässig und an Selbstorganisation nicht gewöhnt. Eine andere Lösung mußte gefunden werden. Der Vorstoß des Innensenators, die Bezirksämter sollten die Einrichtungen für Elternnotdienste öffnen, stieß auf dankbare Erleichterung. Seit drei Wochen ist die bestreikte KiTa wieder voll mit Leben, Kinder wuseln herum, verbrauchen Filzstifte und Papier, turnen draußen auf den Klettergerüsten herum. Nur eben weniger als früher, statt 60 nur noch 15.
Betreut werden sie jeden Tag von verschiedenen Eltern, gestern von Heike Pfaff, Angestellte mit gleitender Arbeitszeit und Dieter Schulz, Schichtarbeiter. Für die ÖTV und GEW-Streikposten draußen vor der Tür sind die beiden „Streikbrecher“. „Wir haben nichts gegen einen Elternnotdienst, sehr viel aber gegen einen in unseren Räumen“, erklären sie. Die Anschuldigungen der Erzieher trifft die betreuenden Eltern. Streikbrecher wären sie auf keinen Fall, im Gegenteil. Ihr Notbetreuungsdienst für Härtefälle ist ein Beitrag, „damit der Streik durchgehalten werden kann“. Selbstverständlich hätten sie sich auch um alternative Räume gekümmert, das Bezirksamt konnte ihnen aber nur den Tagungsraum eines Seniorenwohnheimes anbieten. Den haben sie als wenig kindgerecht empfunden. Jetzt versuchen sie das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen, beschränken sich auf einen Raum, betreuen nur „extreme“ Notfälle und kompensieren die Vorwürfe durch ein Überengagement im Bezirkselternausschuß. Keine Demonstration lassen sie aus.
Die Benutzung der KiTa-Räume haben sie mit der ÖTV abgesprochen, die von dieser Vereinbarung jetzt aber nichts mehr wissen möchte. Sehr sauer sind Heike Pfarr und Dieter Schulz auf die Gewerkschft. Sie fühlen sich hängengelassen und unverstanden. „Die ÖTV hat sich wochenlang nicht um die Eltern gekümmert“, habe sie quasi als Fußvolk zur Unterstützung des ErzieherInnenstreiks mißbraucht, ohne aber „daran zu denken, daß eine gemeinsame Strategie hätte entwickelt werden müssen“. Die absurde Situation, in der die Eltern sich jetzt befinden, nämlich mit dem Streik solidarische Streikbrecher zu sein, lasten sie den konzeptionslosen Gewerkschaften an. „Das ist doch kein ausreichendes Programm, Tarifvertrag oder gar nichts.“ Wie das Vertrauen zwischen streikenden ErzieherInnen und streikbrechenden Eltern wieder hergestellt werden kann, wissen sie auch nicht. Sie wissen aber, daß zunehmend mehr Eltern nicht den sich stur und kompromißlos zeigenden Senat für die festgefahrene Situation verantwortlich machen, sondern die Gewerkschaften, die es an „Elternpflege“ mangeln lassen.
Streikbrecher ganz anderer Art sind die nicht gewerkschaftlich organisierten ErzieherInnen, die dem Bezirksamt ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt haben und jetzt in Behelfsräumen einen normalen Kindertagesstättenbetrieb aufrechterhalten. In den Räumen des Jugendklubs in der Arkostraße werden seit Beginn des Streiks rund 15O Kinder aus den verschiedensten Charlottenburger Einrichtungen betreut. 15 ErzieherInnen arbeiten hier, Leiterin ist Frau Brandt. Ihre Position zum Streik ist eindeutig, sonst würde sie nicht arbeiten, ihre Haltung zu den Streikinhalten ebenfalls. „Die Lage in den KiTas muß verbessert werden.“ Den Vorwurf Streikbrecherin zu sein, nimmt sie gelassen, die „Kinder sind mir wichtiger als Prinzipien.“ Wie eine Verbesserung allerdings ohne tarifvertragliche Garantien zu erstreiken sind, weiß auch sie nicht.
aku
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen