: Italoburocrazia
Als Diplomat hat der österreichische General Nikolaus Graf Chorinsky in halb Europa, West wie Ost, Dienst getan, als Militärattache hat er den Umgang mit dutzenderlei Bürokratien gelernt. Doch das, was ihm „da nach so vielen Jahren nun passiert ist, schlägt fast alles“. Dabei geht es eigentlich nur um ein Tier, doch der Fall ist symptomatisch.
Den Winter verbringt der 70jährige Graf, gesundheitshalber, alle Jahre in einer Stadt am Meer nahe Rom, in Gesellschaft seiner Frau Gemahlin und mit seinem Hund, Rasse Weimaraner, ein Art Jagdgeselle. Da die Anmeldung von Tieren hier nach spätestens vier Wochen obligatorisch ist, begab sich der General, den Hund an der Leine und die vom Tierarzt zu Hause sowie die beim Grenzübertritt gefertigten Papiere in der Hand, zum Regierungsveterinär. Der war die ersten beiden Male nicht greifbar. Schließlich erwischte der Graf den Regierungsveterinär doch, in einer alten Fabrik residierend. Höfliche Grußformeln. Dann das Anliegen des Grafen. „Da hat der buchstäblich die Hände zusammengeschlagen“ - ob denn das unbedingt sein müsse: Es geschehe ihm bestimmt nichts, wenn er nicht... Doch der Graf bestand darauf, der Hund könnte ja auch mal jemanden beißen... „Der ist mit einen ganzen Schwung von Gegenargumenten dahergekommen, zum Beispiel daß man ihn dann vor der Ausreise auch wieder abmelden müsse“ eine Art böser Drohung offenbar.
Es half dem Regierungsveterinär nichts. Der Graf blieb unbeugsam. „Darauf hat er eine halbe Stunde nach einem Formular gesucht, und wir haben es ausgefüllt, dreifach. Doch dann kam das viel größere Problem: Es mußte ein Stempel auf die Formulare. Auch den fand er nach langem Suchen aber es fehlte das Stempelkissen. Und da er den letzten Rest der durch Hauchen aktivierten Farbe durch mehrfaches Probestempeln auch noch verbraucht hatte, mußte ich mit einem wenig überzeugenden, bläßlichen Etwas abziehen.“ Immerhin: Seither hat sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen Graf und Regierungsveterinär herausgebildet. Jedes halbe Jahr wiederholt sich das Ereignis, doch die Prozedur ist die gleiche geblieben: Die Formulare sind unauffindbar, der Stempel ist weg, die Farbe trocknet aus...
Italoburocrazia: Es ist überaus schwierig, da hineinzugeraten, denn davor steht eine fast unüberwindliche Mauer von Bürokraten, deren wichtigste Arbeit darin besteht, Antragsteller so schnell wie möglich abzuwimmeln, um ja keine Akte eröffnen zu müssen. Touristen, die einen Diebstahl anzeigen wollen, können ein Lied davon singen: Die erste Frage lautet, ob das denn wirklich notwendig sei... Wenn keine Dokumente futsch sind, keine Versicherung zahlt warum dann der Papierkram? Finden wird man den Dieb doch nie...
Wer allerdings einmal in die Bürokratie hineingeraten ist, kommt so leicht nicht mehr heraus. Als der taz-Korrespondent noch nicht fest angestellt war und unter der Rubrik „Beruf“ „freier Journalist“ angab, mußte er mehr als ein dutzendmal zur Polizei und erklären, was das denn sei - in den 52 Berufskategorien des Formulars kam so etwas nicht vor. „Wenn du's nicht unbedingt brauchst, laß es doch einfach“, riet der Beamte.
Mitunter hat die Langlebigkeit unabgeschlossener Akten aber auch segensreiche Seiten: Ein seit Mitte der dreißiger Jahre in München lehrender italienischer Professor, der sich 1935 in Bologna habilitiert und dort eine einzige Vorlesung gehalten hatte, bekam nach seinem 65.Geburtstag Nachricht, daß er an die 30.000 Mark Pensionsgelder abzuholen habe man hatte schlicht vergessen, ihn aus dem Dozentenverzeichnis zu streichen.
Psychiater behaupten, daß die Gleichzeitigkeit gegenläufiger Anforderungen zur Schizophrenie führt - das dürfte insbesondere bei Italobürokraten zutreffen. Als eine unserer Töchter die Windpocken überstanden hatte und ich ihre Rückkehr in die Schule ankündigte, sagte die Lehrerin: „Aber vergessen Sie das ärztliche Attest über die Gesundung nicht - bei ansteckenden Krankheiten ist das vorgeschrieben.“ Ich erklärte ihr, daß ich es schon zu Hause habe. „Aber es macht auch nichts, wenn Sie's nicht haben...“ - „Keine Sorge, ich bringe es mit.“ - „Aber Sie können Xenia auch ohne Attest schicken, kein Problem.“ - „Nein, nein, Sie werden das Dokument morgen bekommen.“ - „Wissen Sie, im Grunde macht das ja nur Arbeit...“ - „Aber wenn ich es doch schon habe...“ - „Ja, für Sie macht das keine Arbeit, für mich aber schon. Da brauchen wir nämlich ein Formular.“ Und? „Das habe ich nicht.“ Also anfordern. „Das möchte ich eben nicht. Da wacht dann möglicherweise der Rektor auf und fragt, was denn mit den anderen Krankenberichten geworden ist...“ „Heißt das...?“ „Ja... Wir haben das mit dem Attest eigentlich nie gemacht.“ - „Und wie sollen wir nun verfahren?“ - „Heben Sie es bei sich zu Hause auf, und wenn wirklich eine Nachfrage kommt, können wir die Sache immer noch regeln...“
Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen