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Trauriger Souveränitätszwang-betr.: "Sollen Dichter selber denken? (Am Wochende tagten Wortemacher aus Ost und West im Literarischen Coloquium zur deutsch-deutschen Lage), taz vom 26.2.90

Betr.: „Sollen Dichter selber denken?“ (Am Wochenende tagten Wortemacher aus Ost und West im Literarischen Colloquium zur deutsch-deutschen Lage), taz vom 26.2.90

Der Artikel (...) paßt gut in die gegenwärtige Atmosphäre, deutschsprachigen SchriftstellerInnen pauschal das Recht abzusprechen, über die deutsch-deutsche Situation nachzudenken und zu diskutieren und damit natürlich auch das Risiko von Fehleinschätzungen einzugehen. Die Autorin beginnt gleich mit dem SpießerInnenvorurteil, daß „Dichter“ irgendwie zum Denken unfähig sind und, wenn sie es versuchen, an den Stammtisch gehören. (...)

Gabriele Riedles mühevolle Ironie (hinter der eine Wut zu spüren ist, die mit der Tagung nichts zu tun hat), die, abgesehen von der Ansicht der Autorin aus der DDR und der Ansicht einer Autorin aus der Tschechoslowakei, nicht eine einzige Aussage dieser dreitägigen Veranstaltung gelten läßt, verdeckt nur unzulänglich ihren merkwürdig persönlich eingefärbten Haß auf Schriftsteller. Außer ihr selbst sind alle Idioten. Die sehr unterschiedlichen Positionen werden nicht erwähnt, alle Kontroversen unterschlagen, die Kritik nicht belegt; es wird nur fertigemacht.

(...) Der überanstrengte Stil verstärkt den Eindruck eines traurigen Souveränitätszwangs, über allem stehen zu müssen, als wäre das von Interesse oder auch nur möglich. Der Text ist nicht polemisch, frech, witzig. Er ist bösartig, intellektuell unredlich. Gabriele Riedle arbeitet gezielt mit der Methode, Aussagen extrem zu verkürzen, um denunzieren zu können. Sie hat eine Diskussion gehört, die nicht stattgefunden hat. Sie sollte den Einfluß des eigenen Stammtisches einmal überprüfen. Ihr Artikel ist ein besonders typisches Beispiel für jene Texte in der taz, die diese quälende Kiezenge ausstrahlen, diese graue, aus der Ignoranz kommende Überheblichkeit und kindlich herausfordernde Besserwisserei. Es ist ein bißchen jämmerlich, nicht genau hinzuhören, was die Autorinnen und Autoren aus der DDR zu sagen hatten, sich immer nur die eigenen Vorurteile bestätigen zu lassen. (...)

Martin Kurbjuhn, Berlin

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