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Unentschieden

■ Wahlumfrage vor dem Rostocker Kaufhaus Zentrum

taz: Haben Sie entschieden, ob Sie wählen?

Eine Frau, um die fünfzig: (Pause.) Ja, selbstverständlich will ich wählen. (Pause) Wissen Sie auch schon, was?

Das ist ganz schwierig. Weil es so zersplittert ist. Na ja, ich werd auf jeden Fall die Partei wählen, die für die Rentner was Gutes tut.

Wissen Sie, wen Sie nicht wählen?

Ne, wen wähl ich nicht?

Würden Sie die SED nochmal wieder wählen?

Nein, die wähl ich nicht. Vielleicht die SPD.

Und das Neue Forum?

Ja, eigentlich müßten alle Menschen die wählen, ne? Die haben ja erstmal die Voraussetzungen geschaffen.

Tun Sie aber nicht.

Ja, weil sie vielleicht auch nicht mit richtigem Programm da sind.

Ein Mann (früher Former auf der Werft, jetzt Schlosser bei der LPG), zwei Frauen, beide 20 Jahre Arbeiterinnen bei der Deutschen Post gewesen;

Er: Wählen muß man. Sonst kommt ja wieder die SED... Aber irgendwie läuft hier gar nichts richtig.

Haben Sie denn noch Hoffnung hier oder denken Sie, man müßte auch rübergehen?

Erste Frau: Wenn man nicht so alt wär, ja.

Wie alt sind Sie?

Fünfundvierzig.

Zweite Frau: Man hat sich ja auch einen kleinen Groschen gespart hier, man möcht ja nicht alles aufgeben. Wir haben ein Eigenheim gebaut auf dem Land.

Die Erste: Man hat ja die Arbeitskraft hier gelassen. Ich hab ja nichts. Ich bin jetzt krank. Bin auf Invalidenrente.

Nochmal zur Wahl, an was würden Sie sich denn orientieren?

Die Zweite: Wir haben noch gesprochen heute morgen: Weißt Du, was du wählen willst? Nee.

Er: Die müßten erstmal sagen, wegen unserm Geld. Die vom Westen kommen hier rüber, tauschen günstig, kaufen ein...

Die Erste: ...Schuhe, Glühbirnen, habe ich gesehen... Nein, das finden wir nicht in Ordung. Am Donnerstag war ich in Warnemünde, bei einem Schlachter habe ich da angestanden. Ich habe keinen Fetzen Fleisch bekommen. Ich bin leberkrank, ich darf nicht alles essen, und ich kann auch nicht lange anstehen, da falle ich um. Es hat sich sehr verschlechtert.

Wenn Sie überhaupt kein Vertrauen haben, brauchen Sie doch überhaupt nicht zu wählen.

Beide Frauen: Dann wird es ja die PDS! Die wollen wir ja nicht. Die wollen wir ja nicht. Die hat uns ja 40 Jahre betrogen.

Sind Sie mal bei den Demonstrationen am Donnerstag dabei gewesen?

Die Zweite: Da bin ich immer abends hingewesen.

Haben Sie den Pastor Gauck mal gehört?

Ja, den habe ich immer gehört. Den höre ich gern.

Aber den würden Sie nicht wählen?

Neues Forum...das weiß ich noch nicht.

Er: Da sind ja noch andere dabei, ist das Forum ja nicht alleine. Schwere Sache. Wir brauchte endlich mal ne Partei, die da mit dem Geld das durchboxt, damit da hier nicht ausverkauft wird, und daß wir mit unserm Geld endlich was kaufen können.

Die Erste: Wir haben das ja noch nie gemacht mit dem Wählen, wir wissen doch noch gar nicht, wie das geht.

Was halten sie von Kanzler Kohl?

Er: Er möchte doch irgendwie uns nur vereinnahmen. Es ist ja so, daß die Gutsbesitzer hier schon erscheinen und wollen ihre Sachen wiederhaben. Bloß wir haben hier ja 40 Jahre dran gearbeitet. Und dann kann man jetzt nicht sagen: Hör ma zu Kollege, das war früher mal mein Acker, und nun bist du das los.

Der alte Molkereiarbeiter, den seine Frau, für die er drei Jahre gekämpft hat, nach 23 Jahren per Gericht von ihrem Scheidungswunsch unterrichtete, will vielleicht die Grünen wählen. „Weil die Umwelt so kaputt ist.“

Die einzige, die weiß, wen sie wählt, ist 71. Sie wählt SPD. Wegen Willy Brandt. „1953, als die Arbeiter losgegangen sind und die hier das ganz gerne gesehen hätten...

Daß Blut fließt?

Ja. Da war der Oberbürgermeister von Berlin und war der einzige, der hat der beide Seiten beruhigt.

U.S

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