„Woody Allen des Dokumentarfilms“

■ „Shermans Feldzug“ von Ross McElwee, Samstag, 22.15 in Bayern 3

Ross McElwee hat Ärger mit seiner Mutter: „Schalt das aus!“ keift sie den unablässig mit der Kamera Umherlaufenden an. „Das hier ist keine Kunst. Das ist Leben.“ Ross‘ Mutter will, was alle Mütter wollen: ihren Sohn ordentlich verkuppeln. Zu Besuch bei Dede, nach Meinung der Mutter eine gute Partie, schaltet Ross die Kamera jedoch keinen Moment ab. Die Mormonin glaubt daran, daß die Amis das auserwählte Volk sind und legt Lebensmittelvorräte für den Atomkrieg an. Ross zeichnet alles auf. Sie möchte heiraten. Aber nur jemanden, der „Priesterwürde in ihr Haus brächte“. Das ist zuviel für Ross, der sich in einer permanenten Frauenkrise (?! - d.Korr.in) befindet.

Als verkrachter Filmemacher folgt Ross McElwee von Boston nach New York dem Zerstörungsfeldzug des Unionsgenerals William T.Sherman, der nach einem blutigen Massaker gegen die Zivilbevölkerung 1864 den amerikanischen Bürgerkrieg für die Nordstaaten entschied. Sein Film beginnt wie einer dieser beknackt langweiligen Dokumentarfilme. Eine Stimme mit distinguiertem, britischem Akzent informiert uns über den Feldzug Shermans durch den Süden. Der grausame Krieg markiert insofern einen Wendepunkt in der modernen Geschichte, als hier zum erstenmal hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen wurde.

Das ambitionierte Filmprojekt erleidet jedoch gleich zu Anfang Schiffbruch, als Ross erfährt, daß ihn seine Freundin (wieder einmal) verlassen hat. Anstatt die Zähne zusammenzubeißen und weiter mannhaft die Kurbel zu drehen, filmt er sich selber im leerstehenden Loft eines Freundes, wie er ratlos auf- und abgeht. Diese Art, einfach persönliche Belange in ein derartig konventionelles Thema einzubringen, hat etwas Dreistes, Erfrischendes. Obwohl McElwee einen „nicht-fiktionalen Film“ dreht, über „Leute wie sie gerade vor die Kamera kamen“, ist Shermans Feldzug nur vordergründig ein Dokumentarfilm, der geschickt mit den Bedingungen und Möglichkeiten dieses Genres spielt. Ross beschließt, seine Ratlosigkeit zum System zu erheben. Statt den noch heute sichtbaren Nachwirkungen des Sherman-Feldzugs filmt er nun, wie er unterwegs seine Familie besucht. Bei einer Bootsfahrt labert ihm die Schwester aufs Ohr, wie er eine Frau an Land zu ziehen hat, und überhaupt... Auch seine verkupplungswütige Mutter erklärt ihm klipp und klar, daß die Frauen nichts wollen, als auf geschickte Weise gegängelt werden. Und Ross hält voll die Kamera drauf.

Mit dem Beziehungsfrust im Herzen meldet sich in Ross der Wiederholungstäter. Auf Shermans Weg von Boston nach N.Y., wo der Militärmetzger eine 60 Meilen breite und 700 Meilen lange Schneise der Vernichtung hinterließ, besucht Ross eine Ex-Frau nach der anderen. Wo sein ambivalentes Vorbild Sherman auf dem Vormarsch gnadenlos meuchelte, sammelt Ross auf dem Rückzug als Macho nur Körbe.

Und die Kamera läuft weiter, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Bei den Kinderspielen, bei der Anti-Orangenhaut-Gymnastik, bei einer nervösen Anti -Atom-Aktivistin. Der einzige, der beim Gespräch mit einem Anflug von Irritation in die Kamera linst, ist ein farbiger Automechaniker. In einer Fülle von authentischen Gesprächen, in denen Ross stets persönlich involviert ist, sammelt er wertvolle Dokumente aus der soziologischen Feinstruktur des amerikanischen Unbewußten. So etwas läßt sich nicht inszenieren. Der Film ist eine Kostbarkeit, deren Reichtum es noch zu entdecken gilt.

Manfred Riepe